Kognitive Verzerrungen in der Entscheidungsfindung

Jeden Tag treffen wir unzählige Entscheidungen, von einfachen, wie der Wahl des Frühstücks, bis hin zu komplexen, wie beruflichen oder finanziellen Entscheidungen. Doch unsere Entscheidungsfindung ist nicht so rational, wie wir oft glauben. Kognitive Verzerrungen, die systematischen Fehler in unserem Denken, beeinflussen unsere Entscheidungen auf subtile, aber oft tiefgreifende Weise.

Was sind kognitive Verzerrungen?

Kognitive Verzerrungen sind systematische Denkmuster oder Fehler in der Verarbeitung von Informationen, die dazu führen, dass unser Denken, unsere Wahrnehmungen und unser Urteilsvermögen verzerrt werden. Diese Verzerrungen entstehen oft unbewusst und beeinflussen unsere Entscheidungen und Überzeugungen, ohne dass wir es bemerken. Sie dienen dazu, unsere kognitiven Prozesse zu vereinfachen und schnelle Urteile zu fällen, können aber auch zu irrationalen und fehlerhaften Schlussfolgerungen führen.

Häufige Verzerrungen und ihre Auswirkungen

Bestätigungsfehler

Der Bestätigungsfehler ist die Tendenz Informationen zu suchen, zu interpretieren und zu erinnern, die unsere bestehenden Überzeugungen bekräftigen. Wir neigen dazu Informationen zu ignorieren oder abzuwerten, die unseren Ansichten widersprechen.

Auswirkung: Dieser Fehler kann dazu führen, dass wir in unseren Meinungen verharren und keine neuen Perspektiven in Betracht ziehen. In Entscheidungsprozessen kann dies bedeuten, dass wir wichtige Informationen übersehen oder unterschätzen, die eine bessere Wahl unterstützen würden.

Verfügbarkeitsheuristik

Die Verfügbarkeitsheuristik beschreibt unsere Neigung, die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen anhand der Leichtigkeit, mit der wir uns an ähnliche Ereignisse erinnern können, zu beurteilen. Ereignisse, die uns schnell in den Sinn kommen, erscheinen uns wahrscheinlicher.

Auswirkung: Dies kann dazu führen, dass wir die Wahrscheinlichkeit von seltenen Ereignissen überschätzen (z. B. Flugzeugabstürze) und häufige Ereignisse unterschätzen (z. B. Autounfälle).

Ankerheuristik

Die Ankerheuristik ist die Tendenz, sich bei der Entscheidungsfindung zu stark auf die erste Information, die wir erhalten (den „Anker“), zu stützen. Diese Information beeinflusst dann alle nachfolgenden Urteile und Entscheidungen.

Auswirkung: Ein anfänglich genannter Preis in Verhandlungen oder ein erster Eindruck in einem Gespräch kann unser Urteil unverhältnismäßig stark beeinflussen, auch wenn spätere Informationen diesen Ankerwert relativieren sollten.

Verlustaversion

Verlustaversion ist die Tendenz, Verluste stärker zu gewichten als Gewinne. Wir empfinden den Schmerz eines Verlustes intensiver als die Freude über einen gleichwertigen Gewinn.

Auswirkung: Dies kann dazu führen, dass wir risikoaverse Entscheidungen treffen und Chancen meiden, die potenziell vorteilhaft sein könnten. In der Finanzwelt beispielsweise neigen Menschen dazu Aktien zu verkaufen, die Gewinne erzielt haben, während sie verlustreiche Aktien halten, in der Hoffnung, dass sie sich erholen.

Rückschaufehler

Der Rückschaufehler ist die Neigung, vergangene Ereignisse im Nachhinein als vorhersehbarer zu betrachten, als sie tatsächlich waren. Wir glauben oft, dass wir das Ergebnis eines Ereignisses schon immer gekannt haben.

Auswirkung: Dies kann zu einer verzerrten Wahrnehmung unserer eigenen Entscheidungsfähigkeit führen und uns daran hindern aus Fehlern zu lernen, da wir glauben, dass die Ergebnisse ohnehin vorhersehbar waren.

Kognitive Aspekte der Entscheidungsfindung und ihre Relevanz für psychische Erkrankungen

Kognitive Verzerrungen spielen nicht nur eine wichtige Rolle in unseren alltäglichen Entscheidungen, sondern sie sind auch eng mit verschiedenen psychischen Erkrankungen verknüpft. Bei folgenden Störungsbilder können diese Denkmuster zur Entstehung und Aufrechterhaltung beitragen:

Depression

Depression ist häufig mit einer Vielzahl von kognitiven Verzerrungen verbunden, die die negative Sichtweise der Betroffenen auf sich selbst, die Welt und die Zukunft verstärken.

  • Dichotomes Denken: Auch als „Schwarz-Weiß-Denken“ bekannt, bei dem Menschen nur extreme Kategorien wahrnehmen und keine Zwischenstufen erkennen. Ein Misserfolg wird als Niederlage und nicht als Lernmöglichkeit gesehen.
  • Selektive Abstraktion: Fokussierung auf negative Details eines Ereignisses und Ausblenden positiver Aspekte. Dies verstärkt das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Wertlosigkeit.
  • Übergeneralisierung: Eine einzelne negative Erfahrung wird als allgemeines Muster interpretiert. Zum Beispiel könnte eine Ablehnung als Beweis dafür gesehen werden, dass man in allen Lebensbereichen versagt.

Angststörungen

Auch Angststörungen sind oft mit spezifischen kognitiven Verzerrungen verbunden, die Sorgen und Vermeidungsverhalten verstärken.

  • Katastrophisieren: Die Tendenz, das Schlimmste anzunehmen und sich auf mögliche negative Konsequenzen zu konzentrieren. Dies kann zu übermäßiger Angst und Panik führen.
  • Gedankliche Übertreibung: Kleine Fehler oder Probleme werden als erheblich und bedrohlich empfunden. Dies kann dazu führen, dass Betroffene alltägliche Situationen vermeiden, die als potenziell gefährlich wahrgenommen werden.

Zwangsstörungen

Bei Zwangsstörungen spielen kognitive Verzerrungen eine zentrale Rolle in der Aufrechterhaltung von Zwangsgedanken und -handlungen.

  • Magisches Denken: Die Überzeugung, dass Gedanken oder Handlungen bestimmte Ereignisse beeinflussen können, auch wenn es keinen realen Zusammenhang gibt. Zum Beispiel könnte das Gefühl bestehen, dass das Unterlassen eines Rituals eine Katastrophe verursacht.
  • Überverantwortlichkeit: Ein übermäßiges Gefühl der Verantwortung für mögliche negative Ereignisse, was zu zwanghaften Kontrollverhalten führt.

Essstörungen

Essstörungen sind häufig mit verzerrten Denkmustern über Körperbild, Ernährung und Selbstwert verbunden.

  • Dichotomes Denken: Betrachtung von Lebensmitteln als „gut“ oder „schlecht“ und Unfähigkeit, moderates Essverhalten zu akzeptieren.
  • Selektive Abstraktion: Fokussierung auf körperliche Mängel und Ignorieren positiver körperlicher Merkmale. Dies verstärkt ein negatives Körperbild und führt zu extremen Verhaltensweisen.

Wie können wir kognitive Verzerrungen überwinden?

Das Bewusstsein für kognitive Verzerrungen ist der erste Schritt, um ihnen entgegenzuwirken. Darüber können wir eine Vielzahl an Strategien anwenden, um unsere Entscheidungsprozesse zu verbessern:

Selbstreflexion: Hinterfragen Sie Ihre eigenen Überzeugungen und Entscheidungen regelmäßig. Welche Annahmen liegen ihnen zugrunde? Sind diese Annahmen gerechtfertigt?

Diversität der Perspektiven: Suchen Sie aktiv nach Meinungen und Informationen, die Ihren eigenen Ansichten widersprechen. Dies kann helfen, den Bestätigungsfehler zu überwinden.

Datenbasierte Entscheidungen: Stützen Sie Ihre Entscheidungen auf fundierte Daten und Analysen, anstatt auf Intuition oder anekdotische Beweise.

Schritte zur Entscheidungsfindung: Zerlegen Sie komplexe Entscheidungen in kleinere, überschaubare Schritte. Dies kann helfen, die Ankerheuristik zu umgehen und rationalere Entscheidungen zu treffen.

Reflexion nach der Entscheidung: Analysieren Sie Ihre Entscheidungen im Nachhinein und versuchen Sie objektiv zu beurteilen, welche Faktoren zu dem Ergebnis geführt haben. Dies kann helfen, den Rückschaufehler zu minimieren und aus Erfahrungen zu lernen.

Im Hinblick auf psychische Erkrankungen, die mit kognitiven Verzerrungen verbunden sind, ist die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist eine der effektivsten Methoden zur Behandlung. Sie zielt darauf ab, die Denkmuster der Betroffenen zu identifizieren und zu verändern. Ein Kernbestandteil der KVT ist die kognitive Umstrukturierung, bei der Patienten lernen, ihre negativen Denkmuster zu erkennen und durch realistischere Gedanken zu ersetzen. Techniken wie Achtsamkeit und Akzeptanz können helfen die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu lenken und verzerrte Denkmuster zu erkennen, ohne sie sofort zu bewerten oder zu ändern. Dies kann helfen, den Einfluss dieser Verzerrungen auf das Verhalten zu reduzieren. Eine weitere Technik ist die Verhaltensaktivierung, die darauf abzielt Patienten zu ermutigen sich trotz negativer Gedanken und Gefühle in sinnvolle Aktivitäten einzubringen, um das Stimmungstief zu durchbrechen und positive Erfahrungen zu fördern.

Quellenangaben
  • Beyer, R. & Gerlach, R. (2018). Sprache und Denken. Springer, Heidelberg.
  • Tobinski, D. A. (2017). Kognitive Psychologie. Springer, Berlin.
  • Wentura, D. & Frings, C. (2012). Kognitive Psychologie. Springer, Wiesbaden.
Vanessa Graßnickel
Chefärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Vanessa Graßnickel
Dr. med. Vanessa Graßnickel ist eine anerkannte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberärztin übernahm sie 2024 die Position als Chefärztin der LIMES Schlossklinik Fürstenhof in Bad Brückenau. Dr. Graßnickel spezialisiert sich auf verhaltenstherapeutisch basierte Behandlungen und Suchtmedizin, fundiert durch ihr Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und einer umfangreichen fachärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Bochum. In ihrer Rolle als Chefärztin verbindet Dr. Graßnickel modernste diagnostische und therapeutische Methoden mit einer empathischen, respektvollen Patientenbetreuung sowie maßgeschneiderten Therapieplänen.

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