Wie wir über psychische Krankheiten reden können ohne zu stigmatisieren

Psychische Erkrankungen betreffen weltweit Millionen von Menschen, doch das Gespräch darüber ist oft mit Vorurteilen und Missverständnissen belastet. Stereotype und Stigmata können nicht nur die Betroffenen verletzen, sondern auch den Weg zu einer offenen und unterstützenden Diskussion versperren. Wie also sprechen wir über psychische Gesundheit, ohne dabei in stereotype Muster zu verfallen?

Warum Sprache wichtig ist: Die Macht der Worte

Sprache formt unser Denken und beeinflusst, wie wir Menschen und Themen wahrnehmen. Wenn wir über psychische Erkrankungen sprechen, tun wir dies in einem kulturellen Kontext, der oft von Vorurteilen und Missverständnissen geprägt ist. Worte wie „verrückt“, „gestört“ oder „schizophren“ werden oft leichtfertig verwendet und tragen dazu bei negative Bilder zu verstärken. Dabei ist eine bewusste und respektvolle Sprache ein entscheidender Schritt, um die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen zu verhindern.

Das Konzept des „Linguistischen Determinismus“

Nach dem linguistischen Determinismus beeinflusst die Sprache, die wir verwenden, direkt unsere Sicht auf die Welt. Wenn psychische Erkrankungen stets in negativen oder abwertenden Begriffen beschrieben werden, wird auch die Wahrnehmung der betroffenen Personen durch diese Brille geformt. Psychische Erkrankungen werden dadurch oft als Schwäche oder als beängstigende Andersartigkeit dargestellt.

Beispiele für stereotype Begriffe und ihre Alternativen

  • Stereotyp: „verrückt“ oder „wahnsinnig“
    Alternative: „Eine Person, die mit einer psychischen Erkrankung lebt“

Hier wird der Fokus auf den Menschen gelegt und nicht auf eine abwertende Beschreibung seiner Krankheit.

  • Stereotyp: „Er ist depressiv, also schwach“
    Alternative: „Er kämpft mit Depressionen“

Die zweite Formulierung erkennt den aktiven Prozess des Umgangs mit einer Krankheit an, ohne die Person auf die Erkrankung zu reduzieren.

Wie Stereotype entstehen und warum sie schädlich sind

Stereotype über psychische Erkrankungen entstehen oft durch fehlende Informationen und verzerrte Darstellungen in den Medien. Filme, Serien und Nachrichtenberichte neigen dazu dramatische oder extreme Darstellungen von psychischen Störungen zu zeigen. Diese Darstellungen verstärken die Vorstellung, dass psychische Erkrankungen etwas Beängstigendes oder Unkontrollierbares sind.

Die Rolle der Medien

Medien berichten oft einseitig über psychische Erkrankungen, besonders wenn es um Gewalt oder Kriminalität geht. Studien zeigen jedoch, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht gefährlicher sind als andere, sondern sogar häufiger Leidtragende von Gewalt werden. Wenn etwa in Filmen Menschen mit Schizophrenie als gewalttätige Monster dargestellt werden, fördert dies das Bild, dass psychische Erkrankungen unberechenbar sind.

Die Auswirkungen von Stereotypen auf Betroffene

Menschen mit psychischen Erkrankungen fühlen sich oft stigmatisiert und missverstanden. Das Stigma kann dazu führen, dass sie sich isolieren, keine Hilfe suchen oder ihre Erkrankung verbergen. Dies verstärkt das Leiden und verhindert oft eine frühzeitige und notwendige Behandlung. Psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen sind in unserer Gesellschaft verbreitet, doch viele Betroffene fühlen sich gezwungen still zu leiden, aus Angst, als schwach oder unfähig abgestempelt zu werden.

Stereotype als Hindernis für Behandlung und Integration

Eine der größten Herausforderungen durch Stereotype ist, dass sie Betroffene davon abhalten Unterstützung zu suchen. Wenn psychische Erkrankungen als Schwäche angesehen werden, scheuen sich viele Menschen Hilfe in Anspruch zu nehmen, da sie befürchten von anderen verurteilt zu werden. Dies kann zu einer Verschlimmerung der Symptome und zu einer Abwärtsspirale führen. Beispielsweise zögern manche Menschen mit Depressionen sich ihren Vorgesetzten anzuvertrauen, da sie nicht als unzuverlässig oder ineffektiv wahrgenommen werden möchten.

Wie man sensibel und respektvoll über psychische Erkrankungen spricht

Es gibt klare Wege, wie wir unsere Sprache anpassen können, um sicherzustellen, dass wir respektvoll und inklusiv über psychische Erkrankungen sprechen. Diese Ansätze helfen nicht nur dabei Missverständnisse zu vermeiden, sondern auch ein besseres Verständnis für die komplexen Realitäten der Betroffenen zu entwickeln.

„Mensch-zuerst“-Sprache: Den Menschen in den Mittelpunkt stellen

Die Mensch-zuerst-Sprache stellt die betroffene Person vor die Erkrankung. Dies bedeutet, dass wir Menschen nicht auf ihre Krankheit reduzieren, sondern sie als Individuum mit einer Herausforderung anerkennen.

Beispiel:
Anstelle von „Sie ist bipolar“, sagen wir „Sie lebt mit einer bipolaren Störung“. Hier steht der Mensch im Vordergrund und die Erkrankung ist nur ein Aspekt seines Lebens.

Vermeidung abwertender Begriffe

Ein bewusster Verzicht auf abwertende Begriffe wie „gestört“ oder „psycho“ ist essenziell. Diese Begriffe verstärken negative Stereotype und verharmlosen gleichzeitig die ernsten Herausforderungen, denen Menschen mit psychischen Erkrankungen gegenüberstehen.

Aktives Zuhören und Empathie zeigen

Wenn wir über psychische Gesundheit sprechen, ist es wichtig Raum für das Zuhören zu lassen. Anstatt voreilige Schlüsse zu ziehen oder Ratschläge zu geben, sollten wir uns bemühen die Perspektive der Betroffenen zu verstehen. Empathie bedeutet in diesem Kontext zuzuhören, ohne zu urteilen und die Gefühle der Person anzuerkennen.

Beispiel:
Wenn jemand über seine Depression spricht, sollten wir nicht sagen „Kopf hoch, das wird schon“, sondern lieber „Es tut mir leid, dass du das durchmachst. Wie kann ich dir helfen?“ Dies zeigt echtes Mitgefühl und die Bereitschaft Unterstützung anzubieten.

Fakten statt Mythen: Aufklärung als Mittel gegen Stereotype

Einer der besten Wege, um Stereotype zu bekämpfen, ist Aufklärung. Mythen über psychische Erkrankungen halten sich oft hartnäckig, weil es an Wissen mangelt. Indem wir uns über psychische Gesundheit informieren und dieses Wissen teilen, können wir dazu beitragen, dass Vorurteile abgebaut werden.

Beispiele für Fakten über psychische Erkrankungen

  • Psychische Erkrankungen sind häufig: Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird etwa jede vierte Person im Laufe ihres Lebens von einer psychischen Erkrankung betroffen sein.
  • Psychische Erkrankungen sind behandelbar: Mit der richtigen Unterstützung, wie Therapie oder Medikation, können viele betroffene Menschen ein erfülltes Leben führen.
  • Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nicht gefährlicher als andere: Der Mythos, dass psychisch Kranke gewalttätiger sind, ist weit verbreitet, aber wissenschaftlich widerlegt. In Wahrheit sind Menschen mit psychischen Erkrankungen häufiger Opfer von Gewalt als Täter.

Beispiele für Mythen und ihre Entkräftung

  • Mythos: Menschen mit Depressionen sind immer traurig.
    Fakt: Depressionen äußern sich unterschiedlich. Viele Menschen mit Depressionen haben auch gute Tage oder Momente. Die Erkrankung ist oft unsichtbar.
  • Mythos: Angststörungen sind nur übertriebene Nervosität.
    Fakt: Angststörungen sind ernsthafte psychische Erkrankungen, die weit über gelegentliche Nervosität hinausgehen und das tägliche Leben stark beeinträchtigen können.

Ein Umfeld schaffen, in dem über psychische Gesundheit gesprochen werden kann

Um einen respektvollen und offenen Umgang mit psychischen Erkrankungen anzuregen, müssen wir auch dafür sorgen, dass das Umfeld dazu einlädt. Dies gilt sowohl für das private Umfeld als auch für den Arbeitsplatz und öffentliche Diskussionen.

Offene Gespräche fördern

Indem wir psychische Gesundheit als Teil des alltäglichen Lebens anerkennen, schaffen wir eine Atmosphäre, in der Betroffene sich sicher fühlen über ihre Erfahrungen zu sprechen. Führungskräfte in Unternehmen können beispielsweise regelmäßige Gespräche über Wohlbefinden und mentale Gesundheit einplanen, um das Thema zu enttabuisieren.

Psychische Gesundheit als Teil der allgemeinen Gesundheit verstehen

Psychische Gesundheit ist genauso wichtig wie körperliche Gesundheit. Indem wir beides gleichwertig behandeln und keine Hierarchie schaffen, in der körperliche Beschwerden ernster genommen werden, fördern wir ein ganzheitliches Verständnis von Gesundheit.

Quellenangaben
  • Finzen, A. (2013). Stigma psychische Krankheit: Zum Umgang mit Vorurteilen, Schuldzuweisungen und Diskriminierungen. Psychiatrie Verlag, Köln.
  • Hammer, M. & Plößl, I. (2023). Irre Verständlich: Menschen mit psychischer Erkrankung wirksam unterstützen. Psychiatrie Verlag, Köln.
  • Rüsch, N., Heland-Graef, M. & Berg-Peer, J. (2020). Das Stigma psychischer Erkrankung: Strategien gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Elsevier, Amsterdam.
Vanessa Graßnickel
Chefärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Vanessa Graßnickel
Dr. med. Vanessa Graßnickel ist eine anerkannte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberärztin übernahm sie 2024 die Position als Chefärztin der LIMES Schlossklinik Fürstenhof in Bad Brückenau. Dr. Graßnickel spezialisiert sich auf verhaltenstherapeutisch basierte Behandlungen und Suchtmedizin, fundiert durch ihr Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und einer umfangreichen fachärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Bochum. In ihrer Rolle als Chefärztin verbindet Dr. Graßnickel modernste diagnostische und therapeutische Methoden mit einer empathischen, respektvollen Patientenbetreuung sowie maßgeschneiderten Therapieplänen.

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