Schematherapie – Die Arbeit an unbefriedigten Bedürfnissen

Die Schematherapie stellt eine innovative Behandlungsmethode dar, welche verschiedene bewährte Psychotherapieansätze miteinander vereint. Sie bringt kognitiv übende Maßnahmen der Verhaltenstherapie, erlebnisaktivierende Techniken der Gestalttherapie und die verstehensorientierte Perspektive der psychodynamischen Verfahren zusammen. Gerade Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und chronischen Depressionen, bei denen herkömmliche Therapieversuche gescheitert sind, dürfen große Hoffnung in dieses Verfahren setzen.

Was sind Schemata und wie entstehen sie?

Unter einem Schema ist ein typisches Muster von Gefühlen, Gedanken und Empfindungen zu verstehen, welches das Verhalten steuert. Dieses Muster wird in der Kindheit gelernt und dient dazu, emotionale Grundbedürfnisse wie eine sichere Bindung, Autonomie, Kontrolle oder Spontanität zu befriedigen. Besteht ein Mangel in der Bedürfnisbefriedigung, können ungünstige Schemata entstehen und negative Konsequenzen auf das restliche Leben und Beziehungsgestaltungen haben. Trotz der Nachteile werden die Schemata und die damit verbundenen Bewältigungsstrategien weiter aufrechterhalten. Beispiele für Schemata sind:

  • Verlassenheit/Instabilität:Überzeugung, dass wichtige Beziehungen nicht halten werden und Angst von anderen verlassen zu werden
  • Misstrauen/Missbrauch: Befürchtung, von anderen absichtlich verletzt oder missbraucht zu werden
  • Unzulänglichkeit/Scham: Überzeugung, es nicht wert zu sein geliebt zu werden, Aufmerksamkeit oder Respekt zu erhalten
  • Soziale Isolierung/Entfremdung: Gefühl, anders zu sein und keine Verbindung zu anderen Menschen aufbauen zu können
  • Abhängigkeit/Dependenz: Gefühl der Hilflosigkeit und Unfähigkeit ohne Hilfe anderer Entscheidungen treffen zu können
  • Versagen: Überzeugung, aufgrund mangelnder Begabung niemals erfolgreich sein zu können
  • Streben nach Zustimmung und Anerkennung: Bedürfnis einen guten Eindruck zu hinterlassen um etwas wert zu sein

Schema-Modi

Die genannten Schemata sind immer verbunden mit sogenannten Modi, Erlebenszuständen, auf die mit einem bestimmten Verhalten reagiert wird. Ein Modus kann in bestimmten Situationen aktiviert werden und rasch wechseln. Modi werden wie folgt eingeteilt:

Kind-Modi
Diese Modi haben ihren Ursprung in der Kindheit und helfen in Kontakt mit den Bedürfnissen nach Bindung, Autonomie, Anerkennung sowie Lustbefriedigung zu kommen:

Verletztes Kind: Gefühle von Einsamkeit, Unverständnis und Verlassenheit
Ärgerliches Kind: Gefühle von Ärger bei unerfüllten Grundbedürfnissen
Impulsives Kind: Impulsives und undiszipliniertes Verhalten zur Selbsterfüllung von Nicht-Grundbedürfnissen (z.B. Konsum)
Glückliches Kind: Erfüllte Grundbedürfnisse lassen das Kind sich geliebt und mit anderen verbunden fühlen

Bewältigungs-Modi
Erdulden: In Situationen, wo das Schema aktiviert wird, wird nichts getan, um die Situation zu verändern. Zum Beispiel wird schlechte Behandlung zugelassen, worauf Rückzug und Einsamkeit folgen.
Kompensieren: Das Verhalten ist entgegengesetzt dem Schema. Beispielsweise werden nach emotionaler Vernachlässigung der Eltern andere ausgebeutet oder sich durch das Helfersyndrom an andere geklammert.
Vermeiden: Es wird sich so verhalten, dass das Schema nicht aktiviert werden kann. Beispielsweise werden nach sozialer Isolation durch Ausgrenzung in der Schulklasse nur enge Beziehungen zur Familie und Gleichgesinnten aufgebaut und sich nicht um weitere Integration bemüht.

Schädigende Eltern-Modi
Die dysfunktionalen Eltern-Modi entstehen dadurch, dass der Betroffene das ungünstige Verhalten seiner Eltern oder anderer Bezugspersonen verinnerlicht hat und sich nun selbst so verhält.

Strafendes Elternanteil: Straft den Kind-Modus, wertet ihn ab und misshandelt ihn emotional oder körperlich
Forderndes Elternanteil: Überfordert und kritisiert das Kind ständig und maßlos

Gesunder Erwachsener
Der Modus des gesunden Erwachsenen umfasst  die Wahrnehmung der eigenen Gefühle und Bedürfnisse sowie das Kümmern um die Befriedigung dieser in günstiger Weise. Es werden sinnvolle Grenzen gesetzt und die Verantwortung für das eigene Handeln ohne Überforderung oder Abwertung übernommen.

Oft entstehen zwischen den verschiedenen Modi innere Spannungen. Ein Beispiel dafür wäre der Konflikt zwischen der inneren Stimme der Eltern-Modi („Die Aufgabe muss sofort perfekt erledigt werden“) und der Reaktion des verletzbaren Kindes (Überforderung und aufschieben der Aufgabe). Wenn es den Betroffenen dann nicht gelingt, die innere Spannung zu reduzieren, führt genau das langfristig zu psychischen Erkrankungen.

Was passiert zwischen Therapeut und Patient?

Ziel der Schematherapie ist es, ungünstige Erlebens- und Verhaltensmuster zu identifizieren und von einer sicheren therapeutischen Beziehung so zu verändern, dass Gefühle und Verhalten besser reguliert und Bedürfnisse in günstiger Weise befriedigt werden können. Dabei übernimmt der Therapeut in begrenzter Form die Rolle eines Elternteils: Er bringt dem Patienten Wertschätzung und Unterstützung entgegen und lässt ihn dadurch spüren, dass seine Grundbedürfnisse anerkannt werden. Gleichzeitig zeigt er Grenzen auf und konfrontiert ihn mit seinen schädigenden Verhaltensweisen. So können Beziehungserfahrungen gemacht werden, die in der Kindheit und Jugend ausblieben.

Für die Patienten ist es wichtig anzunehmen, dass die Spannung erstmal wieder ansteigen wird und sie mit den unangenehmen Gefühlen der Kindheit konfrontiert werden. Nur so können die früheren Erlebnisse durch neue emotionale Erfahrungen korrigiert werden und gelernt werden, dass schwierige Situationen heute besser ausgehen können als früher. Ziel ist es ebenfalls Distanz zum eigenen Erleben aufzubauen bzw. den negativen Gedanken und Gefühlen aufzubauen.

In dem Zuge soll der Modus des „gesunden Erwachsenen“ immer mehr gestärkt werden und der Betroffene lernen, seinen Bedürfnissen auf erwachsene Art und Weise gerecht zu werden. Gegen Ende der Therapie wird das Erlernte mehr und mehr in den Alltag übertragen. Gleichzeitig soll sich der Patient nun langsam aus der Therapiebeziehung lösen und Strategien mitnehmen, die Rückfälle in alte Verhaltensmuster vermeiden.

Einblick in die Schematherapie: Veränderung durch Rollenspiele

Herr S. ist 36 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder. Er arbeitet in einer hohen Managementposition und hat vor ein paar Monaten die Führungsrolle für ein weiteres Team übernommen. Schon immer hat Herr S. große Sorge seinen Aufgaben nicht gerecht zu werden und leidet unter Schlafstörungen, Energie- sowie Appetitlosigkeit.

Einige Wochen nach der Übernahme werden schwere Depressionen bei ihm diagnostiziert und seine Therapeutin erkennt, dass das Schema „Versagen“ eine tragende Rolle spielt. Herr S. hat fortwährend das Gefühl, nicht gut genug zu sein und durch unzureichende Fähigkeiten niemals erfolgreich sein zu können. Durch eine Vorstellungsübung wird deutlich, dass er diese Gefühle aus seiner Kindheit kennt. Seine Eltern haben ihm bei jedem Konflikt mit Mitschülern und jeder schlechten Note vermittelt, dass seine mangelnden Fähigkeiten Grund dafür seien.

Um ein Schema wie dieses aufzubrechen und zu verändern, wird in der Therapie häufig auf Rollenspiele zurückgegriffen, bei denen die Patienten symbolisch die Rolle der verschiedenen inneren Anteile einnehmen. Zunächst soll Herr S. sich in die Rolle des „inneren Kindes“ in einer bestimmten Situation hineinversetzen und beschreiben was er fühlt. Die Therapeutin nimmt dabei die Rolle eines Elternteils an und bringt Herrn S. die bisher fehlenden elterlichen Eigenschaften im Sinne von Anerkennung und Wertschätzung für seine Mühen entgegen.

Emotionale Zuwendung und Fürsorge können Sicherheit vermitteln, seine Bedürfnisse nach Bindung befriedigen und die Unabhängigkeit und das Selbstvertrauen von Herrn S. stärken. Auf diese Weise kann er seine Glaubenssätze zu versagen und den eigenen Leistungsdruck mindern. Ebenfalls wird sich sein Gefühl nicht gut genug zu sein nach und nach reduzieren und die Symptome der Depression zurückgehen. Ein weiterer Ansatz ist, dass Herr S. in der Therapie selbst die Rolle des „gesunden Erwachsenen“ annimmt und seinem „verletzen Kind“ versucht das zu geben, was es in der Situation gebraucht hätte.

So kann er auch aus der Erwachsenenperspektive reflektieren, wie seine Bezugspersonen hätten besser mit ihm umgehen können. Darüber hinaus könnte die Therapeutin Herrn S. auch die Rolle des „glücklichen Kindes“ übernehmen lassen. Er soll dadurch die spielerische Leichtigkeit kennenlernen, mit der Herausforderungen im Beruf angegangen werden können und die Fähigkeit entwickeln besser mit Stress umzugehen und sich von Problemen abgrenzen zu können.

Und wer profitiert?

Wie bereits erwähnt, wurde die Schematherapie für Patienten entwickelt, die mit herkömmlichen Therapieverfahren keine Besserung erzielen konnten. Insbesondere bei lang anhaltenden psychischen Störungen, wie der chronischen Depression oder Persönlichkeitsstörungen findet 3sie ihren Einsatz. Studien zeigen, dass vor allem Betroffene der Borderline- und der narzisstischen Persönlichkeitsstörung Erfolge verzeichnen. Des Weiteren wird sie oft bei langjährigen Angststörungen, Essstörungen, Substanzmissbrauch sowie Beziehungsstörungen eingesetzt.

Quellenangaben

Kategorien: Therapie

Vanessa Graßnickel
Chefärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Vanessa Graßnickel
Dr. med. Vanessa Graßnickel ist eine anerkannte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberärztin übernahm sie 2024 die Position als Chefärztin der LIMES Schlossklinik Fürstenhof in Bad Brückenau. Dr. Graßnickel spezialisiert sich auf verhaltenstherapeutisch basierte Behandlungen und Suchtmedizin, fundiert durch ihr Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und einer umfangreichen fachärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Bochum. In ihrer Rolle als Chefärztin verbindet Dr. Graßnickel modernste diagnostische und therapeutische Methoden mit einer empathischen, respektvollen Patientenbetreuung sowie maßgeschneiderten Therapieplänen.

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