Angststörungen – Wenn Ängste das Leben bestimmen

Bei jeder Fahrt in unserem Auto sind wir in höchstem Maße achtsam, beachten sämtliche Straßenverkehrsregeln, überschreiten das Tempolimit nicht und bringen unser Fahrzeug darüber hinaus regelmäßig zur Inspektion – und trotzdem können wir von einem Geisterfahrer auf der Autobahn tödlich verletzt werden. Wir ernähren uns gesund, trinken ausreichend, treiben Sport und gehen zu Vorsorgeuntersuchungen – und können trotzdem einen Herzinfarkt erleiden. Das Wissen, dass wir uns jeden Tag gegen unzählige Gefahren, trotz vorbeugender Maßnahmen, nicht schützen können, erfordert eine dauerhafte Angstbewältigung. Im Zuge dessen ist es nicht verwunderlich, dass eine Vielzahl an Menschen unter Ängsten leidet und Angststörungen zu den häufigsten psychischen Störungen in westlichen Wohlstandsgesellschaften gehören.

Wie äußert sich eine Angststörung?

Generell ist Angst enorm wichtig für das Überleben, denn sie schützt uns davor, sich jeglicher Gefahr auszusetzen. Problematisch wird es erst, wenn sie sich verselbstständigt, auch in unbedenklichen Situationen anschlägt und zu immensen Einschränkungen und Leiden im Alltag führt. In solchen Fällen, wo aus einem sinnvollen Alarmsignal ein Fehlalarm wird, haben wir es mit einer Angststörung zu tun. Angststörungen können sich sowohl in psychischen als auch körperlichen Symptomen äußern – hier ein Auszug:

  • Innere Unruhe
  • Unwohlsein
  • Verzweiflung
  • Nervosität und Stress
  • Konzentrationsschwäche
  • Reizbarkeit und Erregtheit
  • Herzrasen
  • Atemnot
  • Zittern
  • Übelkeit
  • Schwindel
  • Schlafstörungen

Verschiedene Gesichter der Angststörung

Es gibt nicht DIE eine Angststörung. Genauso unterschiedlich wie das Symptomspektrum können der Wirkungskreis und die damit verbundenen Einschränkungen einer solchen Erkrankung sein. Folgende Formen der Angststörungen lassen sich unterscheiden:

Panikstörungen: Betroffene erleben massive Paniktattacken und sind fortwährend mit Gedanken an diese und deren Verhinderung beschäftigt. Eine solche Attacke ist eine kurze Phase extremen Leidens, verbunden mit enormer Furcht und körperlichen und/oder emotionalen Symptomen. Gerade in den ersten Panikattacken erleben die Betroffenen nicht selten Todesangst, der Notarzt wird oft gerufen und es erfolgt eine ausführliche medizinische Abklärung. Panikattacken können als Reaktion auf eine bestimmte Situation (z.B. beim Einstieg in ein Flugzeug) oder ohne ersichtlichen Grund auftreten.

Phobische Störungen: Hierzu zählen die Angst vor spezifischen Situationen (z.B. Höhen oder engen Räumen) oder Lebewesen (z.B. Spinnen oder Hunden). Ebenfalls lässt die Sozialphobie beobachten, wobei alltägliche gesellschaftliche Anforderungen (z.B. mit fremden Personen sprechen, öffentlich essen oder telefonieren) sehr angstbesetzt sind. Bei einer Agoraphobie hingegen besteht Angst vor Menschenansammlungen. Betroffene haben Schwierigkeiten das Haus zu verlassen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, ins Kino oder einkaufen zu gehen. Auch bei einer phobischen Störung können Panikattacken auftreten.

Exkurs: Es gibt spezifische Phobien, die kaum Probleme verursachen, da der Auslöser leicht gemieden werden kann. So können Betroffene mit Flugangst beispielsweise nur noch Urlaub in Regionen machen, die mit anderen Verkehrsmitteln erreichbar sind.

Generalisierte Angststörungen: Hier bestehen eine nahezu dauerhafte Besorgtheit und Anspannung, dass etwas Schlimmes passieren könnte. Die Ängste beziehen sich auf verschiedene Bereiche, um die sich andere Menschen ebenfalls Sorgen machen (z.B. darauf, dass man selbst oder eine nahestehende Person schlimm erkranken könnte) – sie sind jedoch deutlich stärker ausgeprägt als bei den Mitmenschen.

Wie entsteht eine Angststörung?

Angststörungen besitzen ein breites Ursachenrepertoire! Sehr naheliegend sind prägende Ereignisse in der Biografie. Wer in der Vergangenheit beispielsweise von einem Hund gebissen wurde, könnte eine Hundephobie entwickeln oder wer längere Zeit in einem Aufzug stecken geblieben ist, könnte sich folglich vor geschlossenen engen Räumen fürchten. Jedoch gehen Angststörungen nicht immer bestimmte bedrohliche Erlebnisse voraus. Ein anderer Auslöser kann in der Kindheit bzw. den Bezugspersonen dort liegen, wenn keine angemessene Unterstützung in angstbesetzten Situationen stattgefunden hat. Dies kann wahlweise durch eine überbesorgte Bezugsperson geschehen, die durch ihr vorgelebtes ängstliches Verhalten das Kind die Welt als besonders gefährlich wahrnehmen lässt.

Gleichermaßen können Angststörungen auch daraus resultieren, dass frühe Bezugspersonen völlig unbesorgt waren und keinerlei Verständnis für die kindlichen Ängste gezeigt haben. In dem Fall konnten ebenfalls keine adäquaten Angstbewältigungsstrategien erlernt werden. Auch traumatische Erlebnisse wie Trennungen oder Verluste, Belastungssituationen oder Überforderung können für den Ausbruch einer Angststörung verantwortlich sein. Darüber hinaus wird vermutet, dass eine gewisse genetische Komponente schon dafür sorgt, dass manche Menschen mehr zur Ausschüttung von Stresshormonen neigen als andere.

Die physische Komponente als Auslöser wird ebenfalls nochmal deutlich, wenn die Störung als Begleitsymptom von Erkrankungen wie Schilddrüsenleiden, Blutdruckkrisen oder Asthma-Anfällen auftritt. Als letztes kann auch der Konsum von Drogen wie Ecstasy, anderen Amphetaminen oder aber auch größeren Mengen von Koffein Angst auslösen.

Der Angst die Stirn bieten

Der Leidensdruck vieler Betroffener ist enorm hoch und sich der Angst zu stellen, scheint sehr oft unmöglich. Dennoch führt der einzige Weg aus der Angst durch die Konfrontation mit ihr. Zwei verschiedene Verfahren können Patienten auf dem Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben unterstützen:

  1. Medikamentöse Therapie bei Angststörungen

Um die richtige Medikation bei einer Angststörung zu bestimmen, muss zunächst zwischen einer Akuttherapie und einer Langzeittherapie unterschieden werden. Viele Medikamente, die auf die Behandlung von Ängsten abzielen weisen bei längerer Einnahme ein hohes Abhängigkeitsrisiko auf und sollten nur im Falle einer akuten Panikattacke oder für einen sehr begrenzten Zeitraum verschrieben werden. Die erste Anlaufstelle bei einer Angststörung kann der Hausarzt sein, bei einer regelmäßigen und längeren Einnahme von Medikamenten sollte jedoch ein Psychiater herangezogen werden.

Ein Psychiater kann nochmal besser beurteilen, ob Ängste eventuell Symptome einer anderen psychischen Erkrankung sind und ob darauf die medikamentöse Behandlung angepasst werden muss. Wenn ein Präparat mit Gewöhnungspotenzial ausgewählt wird, sollte gleichzeitig unbedingt eine andere therapeutische Maßnahme wie ein Angstbewältigungstraining oder eine Psychotherapie erfolgen.

  1. Psychotherapie bei Angststörungen

Im Rahmen einer Gesprächstherapie können zusätzlich oder alternativ zur medikamentösen Therapie die individuellen Ursachen und aufrechterhaltenden Faktoren der Angststörung beleuchtet werden. Gerade wenn eine solche Störung bereits über einen längeren Zeitraum besteht, hat sich oft schon ein Teufelskreis von Angst und Vermeidungsverhalten etabliert und erschwert den Betroffenen den Alltag. Da gerade wiederkehrende Ängste unheimlich belastend sind, meiden Betroffene genau diese auslösenden Situationen tendenziell.

Eine grundsätzlich sinnvolle Strategie, doch nicht auf alle Aktivitäten kann so leicht verzichtet werden. Und umso häufiger eine Situation gemieden wird, umso weniger können Betroffene lernen, dass die befürchtete Katastrophe meist gar nicht eintritt und sie in der Lage sind ihre Angstgefühle zu bewältigen. Nur wenn der Teufelskreis durch professionelle Unterstützung unterbrochen wird, können neue Strategien erlernt werden und Selbstbestimmtheit und Freiheit zurückerlangt werden.

Bei schwer ausgeprägten Krankheitsverläufen, in denen Patienten teilweise nicht mehr ihre Wohnung verlassen, es nicht mehr schaffen zur Arbeit zu gehen oder gar ihre Beziehungen zu pflegen steigt das Risiko einer depressiven Verstimmung mit Einsamkeit und starker Hoffnungslosigkeit. In solchen Fällen kann über einen stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik nachgedacht werden.

Die besondere Rolle der Angehörigen

Die Angehörigen von Patienten mit Angststörungen haben im Rahmen dieses psychischen Störungsbildes eine besondere Rolle. Im Gegensatz zu vielen anderen Krankheitsbildern verleugnen oder bagatellisieren Betroffene ihre Symptomatik selten. Ganz im Gegenteil – viele Betroffenen suchen Unterstützung und Beruhigung bei Personen in ihrem Umfeld. Nicht selten sind ihre Mitmenschen auch direkt in das Vermeidungsverhalten eingebunden und übernehmen Tätigkeiten wie das Einkaufen, das Ausführen des Hundes oder begleiten Betroffene zu Terminen außer Haus.

Die Problematik besteht nicht nur darin, dass den Angehörigen im Zuge dessen viel abverlangt wird, sie werden auch Teil des Problems. Durch sie können Patienten mit Angststörungen ihr Vermeidungsverhalten problemlos aufrechterhalten und die Verbesserung der eigentlichen Symptomatik rückt in weite Ferne. Gleichzeitig ist die Unterstützung immens Halt gebend und wichtig. Ein förderliches Maß an Beistand lässt sich am Beispiel eines Knochenbruches beschreiben: Der Patient wird sich zwar zunächst schonen müssen, kann jedoch nach kurzer Zeit eine Physiotherapie zum Muskelaufbau starten. Angehörige können den Betroffenen an das Ausüben der Übungen erinnern und in der Nähe bleiben, falls Hilfe benötigt wird. Es ist allerdings unmöglich die Übungen stellvertretend für den Betroffenen auszuführen.

Quellenangaben
  • Meermann, Rolf; Okon, Eberhard: Angststörungen: Agoraphobie, Panikstörung, spezifische Phobien. Stuttgart, 2006.
  • Nickel, Marius: Ängste, Zwänge und Belastungsreaktionen. Wien, 2008.
  • Rupprecht, Rainer; Kellner, Michael: Angststörungen. Stuttgart, 2012.
  • Wagner, Elisabeth: Psychische Störungen verstehen. Berlin, 2021.

Kategorien: Angststörungen

Vanessa Graßnickel
Chefärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Vanessa Graßnickel
Dr. med. Vanessa Graßnickel ist eine anerkannte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberärztin übernahm sie 2024 die Position als Chefärztin der LIMES Schlossklinik Fürstenhof in Bad Brückenau. Dr. Graßnickel spezialisiert sich auf verhaltenstherapeutisch basierte Behandlungen und Suchtmedizin, fundiert durch ihr Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und einer umfangreichen fachärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Bochum. In ihrer Rolle als Chefärztin verbindet Dr. Graßnickel modernste diagnostische und therapeutische Methoden mit einer empathischen, respektvollen Patientenbetreuung sowie maßgeschneiderten Therapieplänen.

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