Nahezu jeder wurde im Laufe seines Lebens schon mal bewusst oder unbewusst manipuliert. Von diesen, meist kleinen, Manipulationen ist ein Phänomen abzugrenzen, was seit einigen Jahren folgenden Namen trägt: Gaslighting. Diese besonders starke und fortlaufende Manipulation, die eine Form des emotionalen Missbrauchs darstellt, ist leider keine Seltenheit und führt ohne Intervention häufig zu schweren psychischen Erkrankungen.
„Es gab den Punkt an dem ich dachte, ich verliere den Verstand!“ Sabine, 34 Jahre alt, erinnert sich an ihre langjährige Beziehung mit ihrem Partner Steffen. Die gesamte Beziehung lang versuchte er ihr einzureden sie sei emotional labil, würde sich diverse Dinge einbilden und niemand sonst würde mit ihr zusammen sein wollen. Aussagen wie: „Ich glaube, du brauchst dringend Hilfe!“, „Du bist so ein Sensibelchen!“ oder „Wie siehst du eigentlich aus? Du bist viel zu dick!“ kamen zunächst vereinzelt, begannen dann mit der Zeit jedoch den Alltag zu beherrschen. Es war ein schleichender Prozess, sodass Sabine zunächst nicht erkannte wie manipulativ Steffen sich verhielt. Irgendwann begann sie dann an sich zu zweifeln und zu hinterfragen ob sie bei klarem Verstand war, wenn mal wieder Geld aus ihrem Portemonnaie verschwand, was sie nicht ausgegeben hatte oder die Herdplatte auf unerklärliche Weise nicht ausgeschaltet war. Steffen sicherte ihr trotz ihres vermeintlich labilen Zustandes seine Unterstützung zu. Sabine schämte sich für ihr unerklärliches Verhalten und zog sich immer mehr von ihrer Familie zurück, da scheinbar nur Steffen wusste was gut für sie war.
Wie an obigem Beispiel zu beobachten ist, werden beim Gaslighting Personen so manipuliert, dass sie an ihrer eigenen Wahrnehmung zweifeln und eine verzerrte Darstellung der Realität annehmen. Sie werden zunehmend unsicherer, fühlen sich hilflos und isolieren sich von ihrem sozialen Umfeld. Die Täter besitzen nicht selten eine narzisstische Persönlichkeit und versuchen durch ihr Handeln den eigenen Selbstwert zu erhöhen sowie Bestätigung durch die Abhängigkeit des Gegenübers von sich zu erlangen. Nur selten ist den Tätern ihr manipulatives Handeln nicht bewusst.
Wichtig: Gaslighting passiert nicht nur in Partnerschaften, sondern auch in Freundschaften, der Familie oder sogar am Arbeitsplatz.
Kurz gesagt: Jeder kann betroffen sein, jede Altersklasse und jedes Geschlecht! Statistisch gesehen sind zwar Frauen häufiger Opfer dieser emotionalen Gewalt, jedoch nimmt die Zahl der männlichen Leidtragenden zu. Auch Kinder können Ziel von Gaslighting werden und von ihren Eltern das Gefühl bekommen wertlos und nicht richtig zu sein. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Beziehungen mit einem großen Vertrauensverhältnis die meiste Angriffsfläche bieten. Es ist darüber hinaus wichtig zu betonen, dass eine Betroffenheit nichts mit dem Intelligenzfaktor oder Naivität zu tun hat und deswegen definitiv kein Zeichen von Schwäche ist.
Folgende Merkmale fassen nochmal die wichtigsten Charakterisika von Gaslighting zusammen:
Sowohl den Opfern, als auch dem Umfeld gegenüber verbreiten Gaslighter häufig Unwahrheiten. Betroffene kommen somit häufig in eine Rechtfertigungshaltung und tun sich schwer Dinge wieder richtig zu stellen. Das lässt sie unaufrichtig wirken und nicht selten entsteht der Eindruck, etwas wäre nicht in Ordnung mit ihnen.
Täter wiederholen ihre Lügen so oft, dass die Betroffenen sie irgendwann glauben und für die Realität halten sowie ihr zukünftiges Handeln danach ausrichten. Nicht selten wird folgend aus Angst (wie immer) missverstanden zu werden über jedes Wort nachgedacht oder es wird sich entschuldigt ohne genau zu wissen was falsch gemacht wurde.
Gaslighter greifen ihre Opfer häufig an wenn diese ihre Lügen hinterfragen. Nachfolgend werden sie umso mehr bloßgestellt oder es wird ihnen unterstellt verrückt zu sein und sich alles nur einzubilden. Daraus resultierend entstehen neue Unsicherheiten bei den Betroffenen – ein Teufelskreis!
Die Täter führen ihre Zielpersonen in eine emotionale Abhängigkeit indem sie diese immer wieder verunsichern und ihnen suggerieren nur durch sie die benötigte Unterstützung und Sicherheit zu erhalten.
Zu Beginn wehren sich die Betroffenen von Gaslighting oftmals noch und gehen in die Konfrontation mit den Tätern. Durch die Kontinuität des Manipulierens resignieren sie jedoch mit der Zeit und sind voller Angst, Pessimismus und Zweifel.
Die Taktik von Gaslightern ist es stetig zwischen Zuneigung und Schuldzuweisungen zu wechseln. Erstere Momente lassen die Opfer sich immer wieder geborgen fühlen und an die Beziehung glauben – bis dann der nächste Angriff folgt.
Eine Machtposition und Domination sind Ziel der Täter und werden durch Unsicherheiten und Ängste der Opfer befriedigt. Gerade das wachsende Abhängigkeitsverhältnis gibt Gaslightern ein Gefühl der Grandiosität.
Die Manipulation von Gaslightern folgt wie bereits erwähnt immer den gleichen Prinzipien: Lügen, Leugnen, Einschüchtern. Betroffene, aber auch Angehörige sollten bei folgenden Aussagen besonders hellhörig werden:
Die dauerhaften Zweifel an der eigenen Wahrnehmung ziehen häufig schwerwiegende psychische Erkrankungen nach sich. Neben Depressionen können Opfer auch Angststörungen oder sogar Selbstmordgedanken entwickeln. Bei langjähriger Manipulation ist sogar das Auftreten posttraumatischer Belastungsstörungen, dissoziativer Störungen oder auch selbstunsicher-vermeidender Persönlichkeitsstörungen, die durch die fortlaufend begünstigten Selbstzweifel entstehen, möglich. In den meisten Fällen haben die Betroffenen das Gefühl die Kontrolle über das eigene Leben komplett verloren zu haben. Den genannten Erkrankungen können sich darüber hinaus psychosomatische oder körperliche Beschwerden anschließen.
Gaslighting ist gerade so gefährlich, weil es sowohl von Betroffenen, als auch ihrem Umfeld, nur schwer erkennbar ist und umso länger der Zustand andauert es immer schwerer wird sich aus der toxischen Beziehung zum Täter zu lösen. Um aus solchen Manipulationsmustern wieder freizukommen oder auch sie zu unterbinden ist viel Mut und gegebenenfalls auch professionelle Unterstützung nötig. Umso früher eine betroffene Person die Erkenntnis in dem Prozess hat, umso kürzer ist der Leidensweg und umso geringer die Langzeitfolgen. Genau aus diesem Grund ist es sehr wichtig schon bei ersten Bemerkungen und Manipulationsversuchen aufmerksam zu werden und aktiv dagegen vorzugehen. Es kann dabei eine große Hilfe sein mit nahestehenden Personen über die eigenen Zweifel zu sprechen und sich unter keinen Umständen von ihnen isolieren zu lassen. Von Beginn an sollten bei Gaslighting klare Grenzen gesetzt werden, den Tätern bewusst gemacht werden, dass sie so nicht mit einem umzugehen haben und sich entfernt werden. Hier ist immer auch das eigene Bauchgefühl ein gutes Indiz ob etwas falsch läuft in einer Beziehung. Im Zweifelsfall kann das Führen eines Tagebuches sinnvoll sein um später nachzusehen was wirklich gesagt wurde und passiert ist. Leider erkennen die Betroffenen die Manipulation der Gaslighter oftmals erst mit etwas Abstand und selbst dann kann es lange dauern bis angenommen werden kann, dass der Täter die Person ist, die etwas falsch gemacht hat. In so einem Falle oder wenn sich alleine nicht aus einer Beziehung mit einem Gaslighter gelöst werden kann, ist eine Psychotherapie immer sinnvoll. Ausgebildete Psychotherapeuten können den Betroffenen unterstützen Geschehenes zu verarbeiten, das Selbstbewusstsein wieder stärken und Ressourcen zu aktivieren. Schlussendlich ist es zu jedem Zeitpunkt wichtig zu Handeln und auch, wenn der Schritt aus der vermeintlich schützenden Beziehung so unerreichbar scheint, immer die einzige Option wieder Lebensqualität zurück zu gewinnen.
Kategorien: Persönlichkeitsstörungen