Jeder kennt es: Wichtige Aufgaben stehen an, doch stattdessen räumt man die Wohnung auf, scrollt durch soziale Medien oder macht sich sogar daran, längst vergessene Hobbys wiederzubeleben. Was auf den ersten Blick wie simple Faulheit wirken mag, ist in Wirklichkeit ein vielschichtiges psychologisches Phänomen – die Prokrastination.
Prokrastination beschreibt das systematische und wiederholte Aufschieben von Aufgaben, obwohl man sich der negativen Konsequenzen bewusst ist. Es geht dabei nicht um gelegentliche Verzögerungen, sondern um ein Verhalten, das zu emotionaler Belastung und oft auch zu beruflichen und persönlichen Problemen führen kann.
Eine klare Definition von Prokrastination lautet: „Das freiwillige Verzögern einer beabsichtigten Handlung trotz des Wissens, dass diese Verzögerung negative Folgen haben könnte.“. Dieses Verhalten kann sich auf nahezu alle Bereiche des Lebens auswirken – von beruflichen Verpflichtungen über alltägliche Aufgaben bis hin zu sozialen Interaktionen. Die Ironie daran ist, dass Prokrastinierende oft unter der Last des Wissens über ihre Versäumnisse leiden, was den Stress nur weiter verstärkt.
Auf den ersten Blick scheint Prokrastination irrational zu sein – schließlich schadet sie uns oft mehr, als dass sie uns nützt. Doch aus psychologischer Sicht ergibt sie durchaus Sinn. Prokrastination ist eng mit emotionalen Zuständen wie Angst, Perfektionismus und Unsicherheit verbunden.
Angst vor dem Scheitern
Eine der häufigsten Ursachen für Prokrastination ist die Angst vor dem Scheitern. Wenn wir uns einer schwierigen oder anspruchsvollen Aufgabe gegenübersehen, neigen wir dazu, uns Gedanken darüber zu machen, wie es sein könnte, wenn wir diese nicht erfolgreich bewältigen. Diese Angst führt dazu, dass wir die Aufgabe lieber aufschieben, um der möglichen Enttäuschung zunächst aus dem Weg zu gehen.
Perfektionismus
Auch Perfektionismus spielt bei der Prokrastination eine bedeutende Rolle. Menschen, die sehr hohe Ansprüche an sich selbst haben, scheuen sich oft davor überhaupt anzufangen, weil sie glauben, dass das Ergebnis nie perfekt genug sein wird. In ihrem Bestreben, ein fehlerfreies Ergebnis zu erzielen, schieben sie den Arbeitsbeginn immer weiter hinaus.
Fehlendes Zeitgefühl und kurzfristige Belohnungen
Ein weiteres Element der Prokrastination ist unser verzerrtes Zeitgefühl. Oftmals schieben wir Dinge auf, weil wir glauben, dass uns in der Zukunft mehr Zeit oder Energie zur Verfügung stehen wird. Gleichzeitig bevorzugen wir kurzfristige Belohnungen, wie etwa das Anschauen einer TV-Serie oder das Durchstöbern von Social-Media-Feeds, anstatt uns langfristigen Zielen zu widmen, die erst später Erfolg und Anerkennung versprechen.
Das Aufschieben von Aufgaben hat weitreichende Konsequenzen, die über das bloße Zeitverlieren hinausgehen. Langfristig kann Prokrastination zu einer Reihe negativer Auswirkungen führen:
Stress und Schuldgefühle: Je länger wir eine Aufgabe aufschieben, desto größer wird der Stress. Dieses chronische Aufschieben kann zu starken Schuldgefühlen führen, da wir uns der Tatsache bewusst sind, dass wir uns selbst schaden.
Verminderte Leistung: Durch das ständige Aufschieben arbeiten wir oft unter Zeitdruck, was die Qualität unserer Arbeit beeinträchtigen kann. Projekte, die in letzter Minute erstellt werden, leiden oft unter mangelnder Sorgfalt und Tiefe.
Verschlechterung der mentalen Gesundheit: Prokrastination ist eng mit Angstzuständen und Depressionen verbunden. Je mehr wir aufschieben, desto schlechter fühlen wir uns, was uns wiederum in einen Teufelskreis aus Aufschieben und emotionalem Stress führen kann.
Um Prokrastination zu überwinden, ist der erste Schritt die Selbstreflexion. Es geht darum zu verstehen, warum wir prokrastinieren und welche tieferliegenden Emotionen und Gedanken uns davon abhalten zu handeln.
Die eigenen Auslöser erkennen
Wann prokrastinieren Sie am häufigsten? Gibt es bestimmte Arten von Aufgaben, die Sie immer wieder aufschieben? Es kann hilfreich sein ein Tagebuch zu führen, in dem Sie notieren, wann Sie prokrastinieren und welche Gedanken oder Gefühle in diesen Momenten auftauchen. Vielleicht merken Sie, dass Sie vor allem Aufgaben aufschieben, die mit hohen Erwartungen oder Bewertungen verbunden sind.
Die Angst hinter der Prokrastination entlarven
Was befürchten Sie, wenn Sie die aufgeschobene Aufgabe angehen? Ist es die Angst vor Misserfolg, die Angst vor Kritik oder vielleicht die Angst vor Erfolg und den damit verbundenen Veränderungen? Indem Sie sich diese Ängste bewusst machen, können Sie beginnen sie zu entkräften.
Ziele und Erwartungen hinterfragen
Stellen Sie sich die Frage: Sind meine Erwartungen an mich selbst realistisch? Perfektionistische Ansprüche führen oft dazu, dass wir uns überfordert fühlen und aus Angst nicht perfekt zu sein gar nicht erst anfangen. Indem Sie realistische Ziele setzen, können Sie den Druck mindern und die Aufgabe Schritt für Schritt angehen.
Neben der Selbstreflexion gibt es einige bewährte Strategien, die Ihnen helfen können, die Prokrastination zu überwinden und produktiver zu werden.
Die „Zwei-Minuten-Regel“
Diese Regel besagt, dass Sie jede Aufgabe, die weniger als zwei Minuten dauert, sofort erledigen sollten. Es geht darum, den ersten Impuls des Aufschiebens zu überwinden und in die Handlung zu kommen. Oft ist es genau dieser erste Schritt, der die größte Hürde darstellt.
Aufgaben in kleinere Schritte unterteilen
Eine der Hauptursachen für Prokrastination ist das Gefühl, von einer Aufgabe überwältigt zu sein. Indem Sie große Projekte in kleinere, überschaubare Schritte unterteilen, können Sie den Druck reduzieren. Jeder kleine Schritt bringt Sie dem Endziel näher und macht das Ganze weniger überwältigend.
Zeitblöcke einplanen
Setzen Sie sich gezielte Zeitfenster, in denen Sie an einer bestimmten Aufgabe arbeiten. Diese Technik nennt sich „Time Blocking“. Indem Sie sich feste Zeiten für die Arbeit einplanen, werden Sie sich weniger ablenken lassen und effektiver arbeiten.
Belohnungssysteme etablieren
Prokrastination wird oft durch das Bedürfnis nach sofortiger Belohnung ausgelöst. Sie können dieses Bedürfnis für sich nutzen, indem Sie sich nach jeder erledigten Aufgabe eine kleine Belohnung gönnen – sei es eine kurze Pause, ein Spaziergang oder etwas Süßes.
Kategorien: Angststörungen