Warum psychisch Kranke Behandlungen akzeptieren, die sie nicht wollen

In der Behandlung psychischer Erkrankungen stehen Ärzte und Patienten oft vor einer komplexen Herausforderung: Obwohl es wichtig ist, dass Patienten in ihre Behandlungsentscheidungen einbezogen werden und eine gewisse Autonomie über ihre Gesundheit behalten, kann es vorkommen, dass sie Behandlungen akzeptieren, die sie eigentlich ablehnen. Dieses Phänomen wirft wichtige Fragen auf und erfordert ein tieferes Verständnis der psychischen Gesundheit, der Arzt-Patienten-Beziehung und der zugrunde liegenden Dynamiken.

Die Komplexität psychischer Krankheiten

Psychische Störungsbilder sind oft viel komplexer als körperliche Krankheiten und können eine Vielzahl von Herausforderungen mit sich bringen. Von Depressionen über Angststörungen bis hin zu schweren psychotischen Erkrankungen, wie Schizophrenie, jede psychische Erkrankung ist einzigartig und erfordert eine individuelle Herangehensweise an Diagnose und Behandlung. Psychische Erkrankungen können darüber hinaus das Urteilsvermögen und die Fähigkeit zur Selbstreflexion beeinträchtigen. Betroffene können sich möglicherweise nicht klar darüber sein, welche Art von Behandlung sie wirklich wollen oder brauchen sowie Schwierigkeiten haben ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche klar zu kommunizieren.

Weitere Gründe, dass sich (un)freiweillig für eine Behandlung entschieden wird

Neben dem Zustand der psychischen Gesundheit selbst, können darüber hinaus folgende individuelle, soziale und kulturelle Faktoren eine Rolle spielen:

Druck von außen: Psychisch kranke Menschen können sich aufgrund des sozialen Drucks oder der Erwartungen von Familie, Freunden oder der Gesellschaft dazu verpflichtet fühlen eine Therapie zu akzeptieren, selbst wenn sie persönlich nicht davon überzeugt sind.

Mangelnde Einsicht: Bei einigen psychischen Erkrankungen kann eine mangelnde Einsicht oder Krankheitsverleugnung vorliegen. Dies bedeutet, dass Betroffene möglicherweise nicht erkennen oder akzeptieren, dass sie Hilfe benötigen und daher bereit sind eine Therapie zu beginnen, um anderen zu gefallen oder äußeren Druck zu vermeiden.

Eingeschränkter Zugang zu Alternativen: Ein begrenzter Zugang zu verschiedenen Therapieoptionen, lange Wartezeiten oder eine ungenügende Kenntnis über alternative Behandlungsmethoden können dazu führen, dass Personen die ihnen angebotene Therapie akzeptieren, selbst wenn sie nicht vollständig davon überzeugt sind.

Zwangseinweisung oder rechtliche Rahmenbedingungen: In einigen Fällen können psychisch kranke Menschen gegen ihren Willen in eine Klinik eingewiesen werden, insbesondere wenn sie eine unmittelbare Gefahr für sich selbst oder andere darstellen. Dies kann zu einer Situation führen, in der sie eine Therapie akzeptieren müssen, auch wenn sie dies persönlich nicht wollen.

Hoffnung auf Besserung: Trotz anfänglicher Ablehnung können Menschen mit psychischen Erkrankungen die Hoffnung haben, dass sich ihre Situation langfristig verbessert und daher bereit sein eine Therapie zu akzeptieren.

Die Folgen ungewollter Therapie

Wenn Betroffene von psychischen Störungen eine Therapie akzeptieren, die sie eigentlich nicht wollen, können verschiedene Szenarien und Konsequenzen eintreten:

Mangelnde Motivation

Wenn Patienten nicht motiviert sind an einer Therapie teilzunehmen oder sich aktiv zu engagieren, kann dies die Wirksamkeit der Therapie beeinträchtigen. Ein fehlender Antrieb kann dazu führen, dass Patienten Schwierigkeiten haben die Anweisungen der Therapeuten zu befolgen oder die empfohlenen Maßnahmen außerhalb der Therapiesitzungen umzusetzen und ihre Fortschritte damit verlangsamen oder sogar behindern.

Unzureichende Offenheit und Ehrlichkeit

Wenn Patienten eine Therapie gegen ihren Willen akzeptieren, können sie möglicherweise nicht offen und ehrlich mit ihrem Therapeuten kommunizieren. Sie können wichtige Informationen zurückhalten oder ihre wahren Gefühle und Gedanken verbergen, was die Effektivität der Therapie ebenfalls beeinträchtigt.

Verschwendung von Ressourcen

Die Bereitstellung von Therapie für Patienten, die sie nicht akzeptieren oder unterstützen, kann Ressourcen verschwenden, sowohl in Bezug auf die Zeit des Therapeuten als auch auf finanzielle Mittel. Diese Ressourcen könnten möglicherweise effektiver eingesetzt werden, um andere Patienten zu unterstützen, die aktiv an ihrer Genesung teilnehmen möchten.

Vertrauensbruch in der Patienten-Therapeuten-Beziehung

Eine Therapie, die gegen den Willen des Patienten durchgeführt wird, kann das Vertrauen in der Patienten-Therapeuten-Beziehung beeinträchtigen. Patienten könnten sich unverstanden oder nicht respektiert fühlen, was die therapeutische Allianz schwächen und die Wirksamkeit der Behandlung beeinträchtigen kann.

Patientenautonomie stärken: Maßnahmen zur Vermeidung unfreiwilliger Therapien

Die Gewährleistung, dass psychisch kranke Personen eine Therapie akzeptieren, die ihren Bedürfnissen und Präferenzen entspricht, erfordert eine sorgfältige Herangehensweise und die Berücksichtigung verschiedener Faktoren.

Es ist wichtig, dass die Behandlung psychischer Krankheiten auf den individuellen Bedürfnissen und Wünschen des Patienten basiert. Therapeuten und Behandelnde sollten eine patientenzentrierte Herangehensweise verfolgen und die Präferenzen und Ziele des Patienten in den Mittelpunkt ihrer Entscheidungsfindung stellen.

Therapeuten sollten sich mit einer Vielzahl von evidenzbasierten Therapieoptionen vertraut machen und diese dem Patienten vorstellen. Dies ermöglicht es dem Patienten bewusste Entscheidungen über die Art der Therapie zu treffen, die sie erhalten möchten, basierend auf ihren persönlichen Bedürfnissen und Vorlieben.

Zudem ist wichtig, dass psychisch kranke Menschen aktiv in den Entscheidungsprozess hinsichtlich ihrer Behandlung einbezogen werden. Dies kann durch eine offene Kommunikation, gemeinsame Zielsetzungen und die Berücksichtigung der Wünsche des Patienten erreicht werden.

Therapeuten sollten auch die Unterstützungssysteme des Patienten, wie Familie und Freunde, in den Entscheidungsprozess einbeziehen. Diese Personen können wertvolle Einblicke in die Lebensrealität und Präferenzen des Patienten bieten und dazu beitragen eine Therapie zu finden, die für ihn geeignet ist.

Zuletzt sollten Therapeuten sich bewusst sein, dass auch kulturelle und soziale Faktoren bei der Behandlungsplanung von Bedeutung sind. Es ist wichtig diese zu integrieren, um sicherzustellen, dass die Therapie den Bedürfnissen des Patienten gerecht wird.

Quellenangaben
  • Gandras, G. (2021). Die Therapeutische Beziehung in der Psychotherapie. Springer Verlag, Berlin.
  • Schnell, T. (2016). Praxisbuch: Moderne Psychotherapie. Springer Verlag, Berlin.
Vanessa Graßnickel
Chefärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Vanessa Graßnickel
Dr. med. Vanessa Graßnickel ist eine anerkannte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberärztin übernahm sie 2024 die Position als Chefärztin der LIMES Schlossklinik Fürstenhof in Bad Brückenau. Dr. Graßnickel spezialisiert sich auf verhaltenstherapeutisch basierte Behandlungen und Suchtmedizin, fundiert durch ihr Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und einer umfangreichen fachärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Bochum. In ihrer Rolle als Chefärztin verbindet Dr. Graßnickel modernste diagnostische und therapeutische Methoden mit einer empathischen, respektvollen Patientenbetreuung sowie maßgeschneiderten Therapieplänen.

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