Schlaf- durch Angststörungen oder Angst- durch Schlafstörungen?

Ein Viertel aller Erwachsenen in Deutschland leiden an einer psychischen Erkrankung. Mehr als die Hälfte davon sogar an zwei. Psychisches Leiden ist häufig komplex und Störungsbilder sind nicht immer klar trennbar, sondern bedingen sich gegenseitig. Etwa die Hälfte aller Betroffenen von Schlafstörungen leiden ebenfalls an einer Angststörung und umgekehrt. Doch was war zuerst da? Das herauszufinden ist gerade in Hinblick auf die Behandlung von großer Bedeutung.

Schlaf als gesundheitliche Basis

Guter Schlaf ist essentiell für sowohl die körperliche, als auch die seelische Gesundheit. Das man nicht immer gut schlafen kann ist selbstverständlich, jeder Mensch leidet gelegentlich an Schlafproblemen, gerade in stressigeren Phasen mit vielen Sorgen. Wirklich problematisch wird es erst dann, wenn über einen längeren Zeitraum weniger, schlechter und unregelmäßiger geschlafen wird und das mentale Wohlbefinden sowie die Leistungsfähigkeit deutlich beeinträchtigt sind. Dann spricht man offiziell von einer Schlafstörung. Diese besitzt nicht nur eine hohe Komorbidität mit vielen psychischen Erkrankungen, wie der Angststörung, sondern geht häufig mit weiteren Risikofaktoren einher:

  • Beeinträchtigung der Lern- und Gedächtnisprozesse
  • Emotionale Unausgeglichenheit
  • Geringe körperliche Leistungsfähigkeit
  • Erkrankungen wie Bluthochdruck, Stoffwechselerkrankungen oder Diabetes
  • Gesteigerter Appetit und Übergewicht
  • Schwaches Immunsystem und Infektionskrankheiten

Schlafmangel macht ängstlich

Die Bedeutsamkeit von Schlaf wird ebenfalls nochmal durch die aktuelle Studienlage zu Schlafstörungen und damit verbundenen höheren Angstreaktionen deutlich. Mit der Methode der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) konnte gezeigt werden, dass nach einer schlaflosen Nacht  der mediale präfrontale Cortex, welcher eine zentrale Funktion bei der Angstkontrolle besitzt, inaktiv ist und Angstreaktionen am nächsten Tag bis zu dreimal so stark wie üblich ausfallen. Im Gegensatz dazu werden emotionale Bereiche im Gehirn durch unzureichenden Schlaf übermäßig aktiv und können durch die fehlende Angstkontrolle folglich schlecht gehemmt werden. Darüber hinaus zeigten die Studien, dass besonders der Tiefschlaf, der sogenannte Non-REM-Schlaf, maßgeblich der Angst entgegenwirkt und auch förderlich für die Emotionsregulation ist.

Schlafstörungen und Angst: Ein Teufelskreis

Schlafstörungen und Angst verstärken sich häufig gegenseitig. Wenn Angstzustände am Abend oder in der Nacht auftreten, kann dies zu erheblichen Schwierigkeiten beim Einschlafen führen. Viele Betroffene erleben Symptome wie Herzrasen, ein unangenehmes Gefühl innerer Unruhe oder sogar Panikattacken, wenn sie versuchen zur Ruhe zu kommen. Solche Symptome führen zu verzögertem Einschlafen und steigern auch allgemein die Schlafangst, da das Bett und die Schlafenszeit zunehmend mit Stress verbunden werden.

Schnelle Hilfe für besseren Schlaf

Die Förderung des Schlafes und gerade des Tiefschlafes ist also wesentlich für eine Reduktion von Ängsten. Doch was hilft bei Schlafstörungen? Zunächst gibt es einige Tipps, die selbstständig zu Hause ausprobiert werden können:

Schlafrhythmus etablieren

Regelmäßige Schlafenszeiten: Legen Sie feste Zeiten für das Zubettgehen und Aufstehen fest, auch an Wochenenden. Dies hilft, den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus zu stabilisieren.

Einschlafrituale: Entwickeln Sie entspannende Routinen wie Lesen oder Meditieren, die Ihnen signalisieren, dass es Zeit ist, zur Ruhe zu kommen.

Körperliche und mentale Entspannung

Körperliche Aktivität am Tag: Regelmäßige Bewegung fördert die Schlafqualität, aber vermeiden Sie intensive Sporteinheiten kurz vor dem Schlafengehen.

Entspannungsverfahren: Nutzen Sie Methoden wie progressive Muskelentspannung oder Atemübungen, um vor dem Schlafen zur Ruhe zu kommen.

Optimierung der Lebensgewohnheiten

Kaffee nur vormittags: Vermeiden Sie koffeinhaltige Getränke nach dem Mittag, da Koffein Ihre Einschlafzeit verzögern kann.

Verzicht auf Alkohol und Schlafmittel: Alkohol stört den Schlafzyklus und sollte vermieden werden. Schlafmittel sollten nur unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden.

Abendgestaltung und Gedankenmanagement

Leichte Mahlzeiten am Abend: Verzichten Sie auf schwere Speisen kurz vor dem Schlafen, um den Verdauungsprozess zu entlasten.

Belastende Gedanken schriftlich festhalten: Führen Sie ein Tagebuch, um Sorgen oder unerledigte Aufgaben vor dem Schlafengehen zu notieren und den Kopf zu beruhigen.

Sollten diese Maßnahmen alle nicht helfen, ist es ratsam, sich professionelle Unterstützung in Form einer Psychotherapie zu suchen. Ein ausgebildeter Therapeut kann nochmal besser helfen, die tieferliegenden Gründe für die Schlafstörung zu erkennen und den Rahmen für eine gemeinsame Aufarbeitung zu schaffen.

Wenn Ängste den Schlaf rauben

Nun betrachten wir den umgekehrten Fall: Auch bei Angsterkrankungen gehören Schlafstörungen nicht selten zum Krankheitsbild dazu. Und auch hier gibt es dafür eine schlüssige Erklärung: Das Stresshormon Cortisol. Bei jeglichen Angststörungen befinden sich die betroffenen Personen permanent in einem Kampf-Flucht-Mechanismus, welcher dem Körper signalisiert, dass Gefahr besteht und er leistungsfähig sein muss. Daraufhin kommt es zu einer hohen Ausschüttung von Cortisol sowie Adrenalin und Noradrenalin. Der Herzschlag erhöht sich zudem, der Blutdruck steigt und die Verdauung verlangsamt sich. Diese Mechanismen sind grundsätzlich lebensnotwendig, treten jedoch bei einer Angststörung auch bei objektiv nicht bedrohlichen Situationen und damit übermäßig auf. Durch die ständige Alarmbereitschaft entwickeln Betroffene Schlafprobleme und der Körper kann nicht mehr regenerieren, was wiederum zu einem langsameren Abbau von Cortisol führt. Ein Teufelskreis.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei Angststörungen?

Um wieder ausreichend regenerieren zu können und den Schlaf zu verbessern, ist es wichtig, aktiv an der Angsterkrankung zu arbeiten. Folgende Schritte können dabei helfen:

 

  1. Psychotherapie

Oft ist es schwer, den ersten Schritt dorthin zu gehen und sich zu öffnen, um professionelle Hilfe anzunehmen. Doch in vielen Fällen kommt man alleine nicht mehr aus dem Angst-Teufelskreis heraus. Das Therapieverfahren der Wahl ist in der Regel die Verhaltenstherapie, welche dem Patienten hilft, seine zugrundeliegenden Denkabläufe zu verstehen und vermeidende Verhaltensweisen zu korrigieren.

 

  1. Entspannungsverfahren

Wenn man es doch erstmal aus eigener Kraft versuchen möchte oder parallel zur Psychotherapie noch mehr tun möchte, können diverse Entspannungsverfahren wie Meditation, Yoga oder auch die progressive Muskelentspannung wirksam sein. Neben der geistigen Entspannung liegt der Fokus auf der körperlichen Erholung, was sich ebenfalls sehr günstig auf den Schlaf auswirken kann.

 

  1. Gesunde Ernährung & Bewegung

Sport fördert die Ausschüttung der Glückshormone Serotonin und Endorphin und fördert somit den Abbau des Stresshormons Cortisol. Genauso wie der Verzehr von gesunden Fetten (z.B. Nüssen, Oliven, Leinsamen), hochwertigen Proteinen (z.B. Joghurt, Linsen, Lachs) und Kohlenhydraten (z.B. Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Kartoffeln) stresslindernd wirkt. Einfache Kohlenhydrate und Zucker im Übermaß lassen den Blutzuckerspiegel stark schwanken, führen damit zu Stress und sollten vermieden werden. Das gleiche gilt für Koffein und Alkohol in größeren Mengen, da die Wirkstoffe ebenfalls Anspannung und Unruhe auslösen können.

 

  1. Wahrnehmung verändern

Zuletzt gibt es noch einen Tipp für akute Angstsituationen, wie eine Panikattacke. Hierbei wird die Aufmerksamkeit mit der 5-4-3-2-1-Übung bewusst weg von den negativen Angstgedanken gelenkt:

Nennen Sie – laut oder in Gedanken – fünf Dinge, die Sie gerade sehen

Nennen Sie – laut oder in Gedanken – fünf Dinge, die Sie gerade hören

Nennen Sie – laut oder in Gedanken – fünf Dinge, die Sie gerade spüren

Wiederholen Sie die drei Schritte nochmal mit vier, drei, zwei und einem Dingen.

 

Die Bewältigung von Angstzuständen und Panikstörungen ist ein zentraler Schritt, um wieder einen erholsamen Schlaf zu finden. Neben der Psychotherapie und verschiedenen Entspannungstechniken ist es hilfreich, die eigenen Gefühle und Symptome im Zusammenhang mit der Schlafangst zu verstehen und zu akzeptieren. Indem man den Teufelskreis aus Angst und Schlaflosigkeit durchbricht, können Sie langfristig zu einem besseren Schlafverhalten hinarbeiten.

Fazit

Die wechselseitige Beziehung von einem gestörten circadianen Rhythmus und Angststörungen sollte nun klar geworden sein. Es ist sehr wichtig, beide Faktoren bei einer Erkrankung zu verstehen und sich klar zu werden, was die Henne und was das Ei ist, damit gezielt behandelt werden kann. Natürlich können auch gerade die Hilfen, die Zuhause alleine umgesetzt werden können und häufig bei der Entspannung der Betroffenen ansetzen, parallel genutzt werden, um bei beiden Krankheitsbildern für eine schnelle Besserung zu sorgen. Es ist immer wichtig, sich vor Augen zu halten, dass es einen Weg aus dem Teufelskreis zwischen Schlafproblemen und Ängsten gibt und nur der richtige Ansatzpunkt gefunden werden muss.

Quellenangaben
  • Dilling, Horst et al.: ICD-10: Internationale Klassifikation psychischer Störungen. Göttingen, 2015.
  • Kulzer, Bernhard; Hermanns, Norbert: Depression, Angst und Schlafstörungen – wichtige Komorbiditäten der Neuropathie. Diabetologe (2009), Band 5.
  • Starostzik, Christine: Folgen von Dauerstress: Depression, Angst, Schlafstörungen. CME (2021), Band 18, Helft 31.
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Vanessa Graßnickel
Chefärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Vanessa Graßnickel
Dr. med. Vanessa Graßnickel ist eine anerkannte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberärztin übernahm sie 2024 die Position als Chefärztin der LIMES Schlossklinik Fürstenhof in Bad Brückenau. Dr. Graßnickel spezialisiert sich auf verhaltenstherapeutisch basierte Behandlungen und Suchtmedizin, fundiert durch ihr Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und einer umfangreichen fachärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Bochum. In ihrer Rolle als Chefärztin verbindet Dr. Graßnickel modernste diagnostische und therapeutische Methoden mit einer empathischen, respektvollen Patientenbetreuung sowie maßgeschneiderten Therapieplänen.

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