So vieles ist erblich: Die Haarfarbe, Augenfarbe, Form des Gesichts, Blutgruppe – und neuste Forschungsergebnisse behaupten sogar auch Traumata! Kann es wirklich sein, dass Krieg, Gewalt, Unfälle und Naturkatastrophen unserer Vorfahren immer noch solche Auswirkungen auf unsere eigene psychische Gesundheit haben?
Stress kann sich in vielerlei Hinsicht zeigen: Leichter Stress wenn wir auf den letzten Drücker zu einem Termin hetzten. Chronischer Stress wenn wir tagtäglich zu viele Aufgaben auf der Arbeit erfüllen müssen oder überfordert sind mit einem Haushalt der gemacht werden möchte, Kinder die gleichzeitig versorgt werden wollen und Angehörige die gepflegt werden müssen. Letzteres erhöht das Risiko für eine psychische Erkrankung wie Depressionen oder Angststörungen enorm. Aber all das lässt kein Trauma entstehen. Ein wirkliches Trauma beschreibt ein Erlebnis, was schwer zu verkraften und mit Angst und Hilflosigkeit verbunden ist, wie ein Unfall, Krieg oder eine Vergewaltigung. Es zeichnet sich durch belastende Erinnerungen, Schuldgefühle oder Gedankenkreisen aus und übersteigt die individuellen Verarbeitungsmöglichkeiten.
Nach einem traumatischen Erlebnis, was über einen längeren Zeitraum hin nicht bewältigt werden kann, entwickelt sich nicht selten eine sogenannte Posttraumatische Belastungsstörung. Diese ist gekennzeichnet durch folgende Merkmale:
Insgesamt sind Betroffene oft nicht mehr in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen. Dazu kommt, dass es zu Beginn häufig nicht leicht ist, die richtige Diagnose zu stellen, da die Symptome anderen Krankheitsbildern wie Depressionen oder Panikstörungen sehr ähneln.
Ein Glück entwickelt sich nicht aus jedem Trauma eine Posttraumatische Belastungsstörung. Jedoch wird in der Wissenschaft aktuell stark diskutiert, ob ein Trauma auch zu sogenannten epigenetischen Veränderungen des Erbguts führen kann, was bedeutet, dass es zu chemischen Veränderungen der Struktur bzw. des Zustandes der DNA kommt. Dass eine solche Veränderung der Gene durch traumatisierende Erlebnisse möglich ist, zeigen bereits viele Forschungen in diesem Bereich. Beispielsweise ist nachgewiesen, dass Kinder von Personen, die die Gräueltaten der roten Khmer oder den Vietnamkrieg erlebt haben, eine erhöhte Depressions- sowie Suizidrate besitzen. Eine sehr aktuelle und bekannte Publikation zu dem Einfluss von Traumata auf die Gene stammt von einem Forschungsteam der Professorin Rachel Yehuda in New York. Hierbei wurden jüdische Personen untersucht, die im zweiten Weltkrieg in einem Konzentrationslager gefangen waren, gefoltert wurden oder sich verstecken mussten. Das Team stellte fest, dass das Gen FKBP5, was für das Stresshormonsystem zuständig ist und mit Depressionen in Verbindung gebracht wird, im Gegensatz zu Personen aus jüdischen Familien, die sich während des Krieges außerhalb von Europa befanden, Veränderungen aufwies.
Zur Info: Der Begriff Epigenetik beschreibt die Einflüsse von Lebensstil und Umwelt auf die Gene. Diese können zum Teil von einer Generation zur nächsten vererbt werden.
Sowohl bei den Kindern von Personen, die sich im Vietnamkrieg befanden, der roten Khmer zum Opfer fielen, als auch bei den Kindern der traumatisierten Holocaust-Überlebenden, wurden epigenetische Veränderungen festgestellt. Für die Nachkommen der Teilnehmenden der Traumastudie bedeutete dies konkret eine Veränderung des Stressgens und eine höhere Ängstlichkeit sowie Anfälligkeit für stressbedingte Krankheiten wie Depressionen, Angststörungen oder kardiovaskuläre Erkrankungen. Einige Wissenschaftler kritisieren solche Befunde jedoch aufgrund der geringen Teilnehmerzahlen und der Tatsache, dass einige Erkrankungen, wie bipolare Störungen, über Generationen in Familien auftreten ohne bisher ein verantwortliches Gen gefunden zu haben. Sie betonen, dass die Bandbreite an Faktoren, die bei der Vererbung von Traumata eine wichtige Rolle spielen, deutlich größer sein muss. Denn neben der rein genetischen Vererbung hat der Umgang der traumatisierten Generation mit den Nachkommen eine sehr große Bedeutung. Mimik, Gestik, Verhalten, all das kann auch unbewusst das Erleben der Nachkommen steuern und dafür sorgen, dass sie Symptome entwickeln, als hätten sie selbst das Leid der Eltern oder Großeltern erlebt. Auch menschliche Beziehungen haben folglich Einfluss auf das Epigenom: Wie viel Zuwendung, Liebe und Geborgenheit erhalten wird, ist ausschlaggebend für die Genaktivität.
Es wird deutlich: Traumata scheinen auf vielen Wegen durch mehrere Generationen hinweg bestehen zu können. Es ist immer gut, bei unerklärlichem seelischem und körperlichem Leiden, was nicht auf das eigene Erleben zurückzuführen ist, einen Blick auf die Familiengeschichte zu werfen. Hat noch jemand diese Beschwerden? Wird vielleicht nur nicht darüber gesprochen? Und wie kann jetzt damit umgegangen werden? Für viele Personen können bereits eine Diagnose und das Bewusstsein über die Herkunft der eigenen Schwierigkeiten sehr entlastend wirken.
Auch vererbte Wunden können mit analogen Methoden zu selbst erlebten Traumata behandelt werden:
Tatsächlich ist diese Frage noch nicht ganz klar zu beantworten. Vielleicht verändern sich die epigenetischen Merkmale wieder bei einer Genesung, vielleicht werden sie auch einfach nur gehemmt und beim Erleben eines erneuten Traumas ist das Risiko zu erkranken wieder um ein vielfaches höher. Es lohnt sich daher, einen kleinen Ausblick in eine Tierstudie zu wagen: Wissenschaftler haben festgestellt, dass sich bei traumatisierten Mäusen, die nach ihrer traumatisierenden Erfahrung betont stressarm lebten und einer abwechslungsreichen Umgebung in sozialen Gruppen ausgesetzt waren, die Symptomatik zurückbildete und auch nicht an die nächste Generation weitergegeben wurde. Es gibt also Hoffnung, dass die Forschung in den nächsten Jahren noch viele weitere Erkenntnisse über die Epigenetik von Traumata machen wird und die Breite an sowohl psychotherapeutischen, als auch pharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten zunehmen wird.
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