Unkonzentriert? Innerlich unruhig? Ungeduldig? – Es ist ein Irrglaube, dass ADHS ein Thema ist, welches nur Kinder betrifft. Denn auch bei Erwachsenen kann ADHS zu einer Reihe von Einschränkungen und Problemen im Alltag, Beruf und Privatleben führen. Ein solches Störungsbild betrifft inzwischen rund 4,5 % aller Erwachsenen in Deutschland und ist somit keine Seltenheit. ADHS ist heute gut behandelbar. Mit der richtigen Therapie können Betroffene lernen mit ADHS umzugehen und sich zunehmend auf ihre Stärken zu fokussieren. Eine Auseinandersetzung mit der Symptomatik und den Dimensionen der Erkrankung ist ein erster wichtiger Schritt dahin.
Wenn wir von ADHS sprechen, meinen wir das sogenannte Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom. Die Erkrankung basiert auf einer genetisch bedingten, neurobiologischen Entwicklungsverzögerung, die eine veränderte Vernetzung des Gehirns mit sich bringt. Die drei Kernsymptome umfassen Folgendes:
Störung der Aufmerksamkeit: Erhöhte Ablenkbarkeit; Vergesslichkeit; Schwierigkeiten, Gesprächen zu folgen und sich auf Aufgaben zu konzentrieren; Verlieren oder Verlegen von Gebrauchsgegenständen
Hyperaktivität: Gefühl der inneren Unruhe; Nervosität; Schwierigkeiten zu entspannen; Unfähigkeit längere Tätigkeiten im Sitzen auszuführen
Impulsivität: Sprechen, Handeln und Entscheiden ohne Einbezug der Folgen; Ungeduld; Unterbrechen anderer Personen im Gespräch; Schwierigkeiten im Umgang mit Geld
Ergänzend zu den genannten Kernsymptomen beschreiben sich viele Betroffene als besonders empathisch. Sie nehmen schnell Stimmungen ihrer Mitmenschen auf, was einen einfühlsamen Umgang mit ihnen ermöglicht. Gleichzeitig wird jedoch auch die Abgrenzung gegenüber negativen Stimmungen im Umfeld schwieriger. Viele Patienten berichten im Zuge dessen von zügig wechselnden Stimmungslagen, die nur durch kleine Anlässe ausgelöst werden können. Ebenfalls besteht bei Betroffenen häufig eine erhöhte Reizbarkeit. Schon der Besuch eines Einkaufszentrums oder die Fahrt in der U-Bahn mit vielen Menschen, Gerüchen und dem Lärm können zu Aggressivität oder einem inneren Rückzug führen. Häufige Konflikte mit Partnern, Freunden oder der Familie, Misserfolge, das permanente Gefühl sein Leistungspotenzial nicht ausschöpfen zu können und für faul, oberflächlich oder cholerisch gehalten zu werden, zieht oft ein vermindertes Selbstwertgefühl nach sich. ADHS Patienten leben außerdem häufig in einem veränderten Tag-Nacht-Rhythmus und beschreiben sich nachts als leistungsfähiger. Dies kann biologische Ursachen haben oder auch der Tatsache geschuldet sein, dass nachts weniger ablenkende Reize bestehen.
Wie bereits erwähnt, kann ADHS in diversen Bereichen des alltäglichen Lebens für erhebliche Beeinträchtigung sorgen.
Im Rahmen einer Berufsausbildung, im Studium oder einer Weiterbildung können Aufmerksamkeitsprobleme zu einer mangelnden Fähigkeit zuzuhören oder zu Lernen führen, was die Gefahr des Scheiterns mit sich bringt. Gerade Studenten mit ADHS haben Probleme sich ihren Lernstoff durch den geringen strukturellen Rahmen selbst einzuteilen oder Fristen einzuhalten.
Genauso können Konflikte am Arbeitsplatz entstehen, wenn zu langsam gearbeitet wurde oder durch Ungenauigkeit Fehler entstanden sind. Wenn Betroffene jedoch versuchen diese Defizite durch erhöhte Anstrengung auszugleichen, kommt es früher oder später zu einer anhaltenden Erschöpfung. Droht der Verlust des Arbeitsplatzes entsteht eine große Mutlosigkeit.
Viele Betroffene haben Probleme mit der Organisation von behördlichen und finanziellen Angelegenheiten. Sie vergessen beispielsweise trotz vielfacher Mahnungen Rechnungen zu bezahlen.
Bei sozialen Kontakten kann es durch die erhöhte Ungeduld und geringe Frustrationstoleranz leicht zu Konflikten kommen. Impulsive Äußerungen und Handlungen stoßen das Umfeld vor den Kopf und sorgen beim Betroffenen selbst für das Gefühl unverstanden zu sein. Der vermehrte Rückzug kann im Zuge dessen als Ablehnung betrachtet werden und das Umfeld verunsichern. Auch ein desorganisiertes Verhalten, welches ein Nichteinhalten von Verabredungen oder das Abbrechen von Tätigkeiten einschließt, birgt Streitpotenzial.
Über alle Herausforderungen hinausblickend ist es wichtig zu betonen, dass ADHS nicht nur Einschränkungen, sondern auch besondere Fähigkeiten mit sich bringen kann. Gerade hyperaktive Menschen besitzen häufig viel Charisma und können durch ihre Spontanität und Energie Andere in ihren Bann ziehen. Betroffene besitzen außerdem oftmals einen Hang zur Kreativität und Hinterfragen starre Ansichten. Diese Fähigkeiten können im Beruf von Vorteil sein, so sind beispielsweise viele Menschen mit ADHS in künstlerischen Berufen als Schriftsteller, Schauspieler oder in der Wissenschaft tätig, wo sie durch ihr innovatives Denken neue Ideen einbringen können und mit ihrer großen Begeisterungsfähigkeit überzeugen.
Die Diagnostik von ADHS gestaltet sich aufwändig. Bis heute sind keine einheitlichen Labortests oder spezifischen Verfahren bekannt, mit denen die Diagnose zuverlässig gestellt werden kann. Die Beurteilung des Beschwerdebildes erfolgt daher schrittweise auf mehreren Ebenen und erfordert die Zusammenarbeit verschiedener Spezialisten und Fachgruppen.
Exploration: Hierbei sollen die krankheitsspezifischen Symptome in den verschiedenen Lebensbereichen mit den entsprechenden Einschränkungen thematisiert werden. Es ist wichtig, dass die typischen Symptome schon vor dem 12. Lebensjahr bestanden haben und nicht nur in einer gewissen Phase, sondern zeitlich überdauernd vorliegen. Hierbei kommen strukturierte Interviews, Fragebögen, Zeugnisse oder eine Fremdanamnese durch den Partner, Familie oder Freunde zum Tragen.
Klinische Beobachtung: Hier können die verschiedenen Symptomatiken in einem festgelegten Rahmen betrachtet werden. Bei Patienten mit einer Hyperaktivität kann das Sitzen auf dem Stuhl beobachtet werden, welches oft mit einem zittrigen Bein oder trommelnden Fingern einhergeht. Hyperaktiv-impulsive Patienten werden hier als besonders laut beobachtet, unaufmerksame Patienten hingegen sind abgelenkt, zerstreut oder verlieren den Faden im Gespräch.
Wichtig: Die genannten Verhaltensweisen können ebenfalls zum Vorschein kommen, wenn der Patient nervös ist. Genauso kann es ADHS Patienten gelingen ihre Symptome für die Dauer der Untersuchung zu unterdrücken.
Neuropsychologische Testdiagnostik: Da eine Störung der Aufmerksamkeit bei ADHS Patienten meist bei Routinetätigkeiten zu beobachten ist, sollten insbesondere Daueraufmerksamkeitstests und das Arbeitsgedächtnis überprüft werden.
Differentialdiagnosen und komorbide Störungen: Symptome von AHDS decken sich mit vielen anderen psychischen Störungsbildern oder können zusätzlich zu ihnen bestehen. Oft ist jedoch unklar, ob komorbide Störungen durch den oftmals ungünstigen Lebenslauf von ADHS-Patienten begünstigt werden oder ob ihnen eine andere biologische Ursache zugrunde liegt. So könnte eine Depression eine Folge von Misserfolgen im Privat- und Berufsleben sein oder aber auch durch ADHS-bedingte neurobiologische Defizite ausgelöst worden sein.
Somatische Differentialdiagnosen: Auch körperliche Erkrankungen können zu ADHS ähnlichen Symptomen führen. Durch eine internistische und neurologische Untersuchung können Differentialdiagnosen wie Epilepsie, Narkolepsie oder Schilddrüsenüber- sowie -unterfunktion ausgeschlossen werden.
Auch wenn bei einigen Erwachsenen die Diagnose ADHS bereits im Kindesalter gestellt wurde, existiert ein großer Prozentsatz, bei dem die Erkrankung noch nicht erkannt wurde. Nicht selten schafft die Diagnose in genau diesen Fällen eine große Erleichterung und den Grundstein für einen Neuanfang und neue Behandlungswege.
Sobald die Diagnose ADHS gestellt wurde, sollte überprüft werden, ob das Symptomspektrum des Patienten überhaupt eine Behandlung benötigt. Erst wenn mehrere Lebensbereiche durch die Krankheit beeinträchtigt sind und ein hoher Leidensdruck besteht, kann mit Hilfe von psychoedukativen, psychosozialen, psychotherapeutischen und pharmakologischen Komponenten ein individuelles Therapiekonzept erstellt werden. Auch komorbide Störungen sollten in das Behandlungskonzept mit einbezogen werden.
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