Das Ausschalten des Bügeleisens muss mehrmals kontrolliert werden! Und: Beim Einkaufen wird niemals das erste Produkt im Regal genommen!“ Nahezu jeder von uns pflegt eine Marotte, die ihn im Alltag begleitet, doch wirklich unter ihnen leiden tun die Wenigsten. Ganz anders ist das bei einer Zwangsstörung: Diese unterscheidet sich durch das Ausmaß der daraus resultierenden Beeinträchtigung von den oben genannten Gewohnheiten – und sie ist nicht selten! Etwa zwei bis drei Prozent der Menschen sind betroffen, nicht ihr gesamtes Leben, aber viele Jahre lang. Dabei ist der Übergang zwischen Alltagsverhalten und Zwangsstörung fließend. Doch ab wann spricht man von Zwangsstörungen?
Es handelt sich um eine Zwangserkrankung (auch Zwangsneurose genannt), wenn bestimmte Gedanken oder Handlungen nicht mehr nur eine lieb gewordene oder Sicherheit gebende Gewohnheit sind, sondern das Leben der Betroffenen und ihres Umfeldes fortlaufend beeinträchtigen. Eine Zwangsstörung kann aus Zwangsgedanken, Zwangshandlungen oder einer Mischung aus beidem bestehen.
Zwangsgedanken sind Bilder oder Impulse, die unablässig immer wieder auftauchen. ,,Ich könnte Krankheitserreger an den Händen haben und mich damit infizieren!“. Diese Gedanken haben eine unangenehme Wirkung, können Angst, Anspannung oder auch Ekel hervorrufen. Das wohl bedeutsamste Merkmal von Zwangsgedanken ist jedoch, dass sie irrationale Größenordnungen annehmen.
Zwangshandlungen sind Verhaltensweisen oder Rituale, die die Betroffenen immer wieder tun „müssen“. Entsprechend dem oben genannten Beispiel könnte eine zwangserkrankte Person, aus Angst sich zu infizieren, nach dem Nachhausekommen ihren ganzen Körper und die Kleidung nach einem festgelegten Ritual reinigen.
Obwohl der Verstand weiß, dass die Zwangsgedanken und Befürchtungen unsinnig oder übertrieben sind, lässt sich das dabei aufkommende Bedrohungsgefühl nicht beruhigen. Nur durch ritualisiertes Gegensteuern mit Zwangshandlungen oder gedanklichen Ritualen kann es von Betroffenen reduziert werden. Dies kann mitunter Stunden lang dauern und den gesamten Tagesablauf beeinträchtigen.
Wichtig: Bei Zwangserkrankungen handelt es sich um die vierthäufigste psychische Störung. Erste Symptome treten oft schon in der Kindheit oder Jugend auf. Es gibt Hinweise auf eine Häufung des Erkrankungseintritts im Alter von 12-14 Jahren sowie im Alter von 20-22 Jahren. Bei 50-70% aller Betroffenen sind schon vor der Erkrankung kritische Lebensereignisse oder Stressoren vorhanden. (Dgppn-Leitlinie, 2013)
Es gibt unzählig viele Zwänge in den verschiedensten Ausprägungen. Folgende Formen der Zwangsstörungen treten mit am häufigsten auf:
Symptome einer Zwangsstörung können sich im Laufe des Lebens verändern, sie können phasenweise sowohl ab- als auch zunehmen und in verschiedenen Kombinationen vorkommen.
Das zwanghafte Verhalten ist fast immer verbunden mit Schamgefühlen. Gerade weil den Betroffenen die Sinnlosigkeit ihres Handelns und das Abweichen Ihrer Verhaltensstandards von denen anderer Menschen bewusst ist, tun sie häufig alles, um ihre Störung vor der Außenwelt zu verbergen. Menschen mit Zwangserkrankungen sind daher oft erfinderisch, wenn es darum geht ihre ungewöhnlichen Rituale zu begründen und den Zwang zu kaschieren. Der Leidensdruck hängt fast immer mit dem Ausmaß der Störung und dem damit verbundenen Zeit- und Energieaufwand zusammen: Patienten, deren Zwangsrituale täglich höchstens eine Stunde beanspruchen, sind häufig in weiten Teilen handlungsfähig und schaffen es, ihre privaten und auch beruflichen Anforderungen zu erfüllen. Doch: Auch für sie ist der Alltag oft sehr anstrengend, denn er erfordert fortlaufend vorbeugende Maßnahmen, versteckte Kontrollhandlungen und das Erfinden immer neuer Ausreden, um bei anderen als „normal“ zu gelten.
Die alles erklärende Ursache für solch eine Erkrankung gibt es nicht. Jedoch können verschiedene Risikobausteine für die Entstehung ausgemacht werden:
Heutige Modelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Zwangsstörungen sind sogenannte multifaktorielle Modelle. Psychologen gehen davon aus, dass eine Vielzahl verschiedener Faktoren und deren Wechselwirkung dazu beitragen, dass eine Zwangsneurose entsteht und dann oft über Jahre bestehen bleibt.
Es gibt verschiedenste Gründe, warum ein Zwang trotz des hohen Leidensdruckes, den er jeden Tag verursacht, zum hartnäckigen Begleiter werden kann: Ein möglicher Grund besteht darin, dass die Faktoren, die zur Entstehung des Zwanges geführt haben, weiterhin existieren. Ganz entscheidend dafür, dass eine Zwangsstörung aufrechterhalten wird, ist ein sich selbst verstärkender Teufelskreis der Zwangsstörung. Auch kann eine psychische Störung „positive Nebeneffekte“ für die Betroffenen haben. Ein Zwang könnte sie beispielsweise von schwierigen Situationen oder unangenehmen Gefühlen ablenken.
Man geht davon aus, dass aufdringliche Gedanken – „Ist die Tür auch wirklich abgeschlossen?“ zunächst völlig normal sind und bei vielen Menschen vorkommen. Problematisch wird dieser Gedanke dadurch, dass ihm eine abnorme und mit Gefahr verbundene Bedeutung zugeschrieben wird. Durch das Empfinden von Angst und Unruhe erlebt der Betroffene einen starken Drang zu Handeln – „Ich muss das kontrollieren, sonst passiert etwas Furchtbares und ich bin schuld!“.
Wird dem Handlungsimpuls dann nachgekommen, führt dies zu einer kurzzeitigen Beruhigung. Gleichzeitig ist das Ausführen der Kontrollhandlung aber auch ein Zeichen dafür, dass die Relevanz des Gedankens angebracht war– „Ein Glück, dass ich alles nochmal kontrolliert habe, wer weiß, was sonst geschehen wäre!“. Auf diese Weise hat sich ein Teufelskreis entwickelt, der den Zwang aufrechterhält und im Verlauf der Behandlung durchbrochen werden muss.
Die wirksamste Therapieform als Ausweg bei Zwangserkrankungen ist nach Erkenntnissen der neusten Forschung die Verhaltenstherapie. Eine Grundannahme der Verhaltenstherapie besteht darin, dass eine Vielzahl von Verhaltens- und Denkweisen nicht zufällig entsteht, sondern im Rahmen spezifischer Entstehungsbedingungen „gelernt“ wurde. Dabei fokussiert die Verhaltenstherapie folgende Ansatzpunkte: Die Arbeit an den Zwangssymptomen und der eigenen Person bzw. Lebenssituation. Es geht darum, durch neue Erfahrungen effektive Bewältigungsstrategien für die Probleme und Krankheitssymptome des Patienten zu entwickeln.
Es werden Methoden erlernt, um die Zwangssymptome direkt bekämpfen können und die Bedingungen verändert, unter denen sich die Zwängsstörung erst einnisten und ausbreiten konnten. Spricht man im wissenschaftlichen Kontext bei der Behandlung zwangsgestörter Patienten von Verhaltenstherapie, dann beinhaltet dies ebenfalls die Durchführung eines Reizkonfrontationstrainings.
Dabei setzen sich die Patienten bewusst einem sonst gemiedenen Reiz aus (z. B. Berührung eines vermeintlich verschmutzten Gegenstands) und verzichten anschließend auf ein beruhigendes Zwangsritual (z. B. Hände-waschen). Solch eine Psychotherapie kann in manchen Fällen auch mit einer Medikamentenbehandlung kombiniert werden. Ziel ist es, dass Betroffene künftig wieder selbstbestimmt und eigenverantwortlich ihr Leben gestalten können.
Eine Vielzahl an Studien belegt, dass Behandlungen von Patienten mit Zwangsstörungen in dafür spezialisierten Kliniken und Krankenhäusern besonders wirkungsvoll sind. Durch das hohe Maß an Fachwissen und der Möglichkeit zur intensiven vor Ort Betreuung, kann den Patienten sehr individuell geholfen werden.
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